Am Ufer (German Edition)
wirst ein bisschen munter. Geh du, ich hab keine Lust. Und was hab ich, seitdem man mich für dauerhaft arbeitsunfähig erklärt hat und ich den Job aufgeben musste? Was für ein Leben? Die Fahrten ins Krankenhaus sind am Ende die einzige Abwechslung. Das Wartezimmer, in das man sich setzt, bis die Tür zum Behandlungszimmer aufgeht, oder zu dem Zimmerchen, in dem das Blut abgenommen wird, oder dieses andere Zimmer, wo an der Wandein Bett steht, das keiner benutzt, und wo ich auf die Sintrom-Kontrolle warte, nachdem ich gefragt habe, wer der Letzte ist. Es ist eine Abwechslung, ja, das klingt komisch, ich gehe ja nicht zum Vergnügen zum Arzt, ich gehe zur Sintrom-Kontrolle (wenn Sie der Letzte sind, dann komme ich nach Ihnen), aber ich mag es, jeden Monat auf die gleichen Gesichter zu treffen, die zum gleichen Zweck wie ich kommen, und bei jedem Besuch kommt der eine oder andere Neue dazu. Es gibt auch Gesichter, die verschwinden und nach denen ich lieber nicht frage, es ist ja bekannt, dass in Krankenhäusern auch Leute verschwinden, deshalb ist es ja so eine Freude, jemanden wiederzutreffen, den du drei, vier Monate lang nicht mehr gesehen hast. Das sind Menschen, die du immer mal wieder siehst, mit denen du nicht seit vierzig Jahren zusammenlebst, Leute, die du gerne siehst, weil sie neu in deinem Leben sind, ich weiß nicht, ob das verständlich ist: Auch wenn du ihnen vielleicht schon seit ein paar Jahren im Gesundheitszentrum begegnest, ist das kein täglicher Umgang, der sich abnutzt, es ist ein Lächeln, ein Gruß; und nach wiederholten Zusammentreffen vielleicht eine Frage, ob alles in Ordnung ist, irgendeine Bemerkung, dass es jetzt ungewöhnlich heiß für die Jahreszeit ist, und wir wissen ja, was Hitze für uns, die wir etwas mit dem Herzen haben, bedeutet, weil die Begegnungen sich nur über die Wartezeit erstrecken, vermutest du, dass diese Person etwas in sich trägt, eine Geschichte, mit der sie dich eines Tages erstaunen könnte, oder dass sie von irgendetwas, das zu dir gehört, angenehm überrascht sein könnte, dass sie in dir etwas entdeckt, das all jene, die mit dir zusammen gelebt haben, nicht zu entdecken fähig waren. Man kann sich gar nicht vorstellen, wie belebt die Krankenhäuser sind, bis man sie nicht aufzusuchen beginnt, der Trubel durch die Fälle für die Ambulanz, das stundenlange Warten auf den Bänken in den Gängen, das Klappern des Schuhwerks der Krankenschwestern, sie schwatzen und lachen und lassen eine Duftspur zurück, wenn sie an dir vorübergehen, ein Duft, der nicht nach Alkohol oder Arznei riecht, der Duft einer gesunden Frau; und wie dankbar du dafür bist, wenn du zwischen all den Leuten einem Bekannten begegnest, den du vor langerZeit aus den Augen verloren hattest. Anfangs hatte mich noch Álvaro zur Untersuchung begleitet, er verdrückte sich für eine Weile aus der Schreinerei und holte die Arbeit dann nach, indem er länger blieb. Jetzt komme ich alleine. Ich bin so froh, den Führerschein zu haben, ich habe ihn nur gemacht, um einkaufen zu fahren und für die Arztbesuche, denn für die Arbeit habe ich ihn ehrlich gesagt nie gebraucht. Ich hatte es satt, von ihm abhängig zu sein, denn Álvaro ist so schrecklich ungesellig. Jedes Mal, wenn ich mit jemandem ein Schwätzchen hielt, wurde er böse, für ihn ist das alles Quatsch. Das Warten langweilte ihn, er stand vom Sessel auf, kratzte sich den Hals, hier muss man ja den ganzen Tag verbringen, sagte er laut, wenn eine Krankenschwester bei uns vorbeiging, als wäre das Mädel schuld an der Vergabe der Termine. Seit der Thrombose machte ich mir Sorgen darum, was aus dem Tier wird, wenn ich einmal nicht mehr da sein sollte, mein Mann würde sich natürlich nicht darum kümmern, ihm nicht das Trockenfutter kaufen und die Kiste sauberhalten, in die er kackt, wer könnte sich um ihn kümmern, mein armer Kleiner. Er ist – nein, er ist nicht, er war – so alt und krank wie sein Frauchen, es machte mir Kummer, ihn zurückzulassen, aber sieh an, das Hundchen ist vor mir gestorben, hat seine Fröhlichkeit mitgenommen und einen großen Teil der meinigen. Ich bin es, die allein zurückgelassen wurde.
Ich hab ihn in Zeitungspapier gewickelt und mich bemüht, nicht wieder auf die drohenden Zähne zu schauen, die der Tod freigelegt hat, ich steckte ihn in einen Plastikbeutel, bis ich ihn dann zu Hause in eine Holzkiste legte, die Álvaro vor längerer Zeit für sein Werkzeug gebaut hatte, aber nicht benutzte. Ich dachte, er
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