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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
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der Perlmutt-Verblendung stecken hatten, wollte auch nicht auf jene Leute stoßen, die über deren Witze lachten, das waren eben jene, die, sobald die Vorzeichen sich änderten, wieder die Fotos herzeigten, auf denen sie, bevor sie sich wie Hündchen vor den Karren des Siegers spannen ließen, junge Republikaner gewesen waren. Weiß der Teufel, wo sie die Fotos versteckt hatten, die Mütze mit der Troddel auf der Stirn, die Fahne, die auf den Schwarz-Weiß-Bildern nicht ihre Farbe zeigt, von der man aber weiß, dass sie rot, gelb und violett war, die Faust in die Höhe gereckt. Achtzigerjahre: Wenn du die Gesichter der Kinder der Nachkriegsopportunisten auf den Wahlplakaten siehst, knurrst du: Auf was bildet der sich was ein. Sein Vater und sein Großvater hätten reich werden können, wenn sie eine Metzgerei aufgemacht hätten. Sohn und Enkel von Schlächtern, was will der uns beibringen?, sagst du zu mir.
    Obwohl ich mich nie für deine politischen Obsessionen erwärmen konnte, gebe ich zu, ein paar Zentiliter dieses Giftes habe ich geerbt: Vom Menschen nur das Schlimmste erwarten, der Mensch, eine Dungfabrik in verschiedenen Phasen des Herstellungsprozesses, ein schlecht zusammengenähter Sack voll Dreck, sagtest du, wenn du schlechter Laune warst (tatsächlich sagtest du: ein Sack voll Scheiße). Aber ich habe meinem Pessimismus wenigstens keine gesellschaftliche Dimension gegeben. Ich habe ihn für mich behalten. Ich habe meine Enttäuschungen erlebt, ohne mir einzubilden, dass sie zum Untergang der Welt gehörten, ich habe vielmehr mit der Überzeugung gelebt, dass alles, was mich betrifft, mit meinem Verschwinden aus der Welt sein wird, da es ja nur eine Manifestation meines innersten Kerns ist. Ein ersetzbares Wesen unter Milliar den von ersetzbaren Wesen. Genau das trennt uns. Du hattest die Fähigkeit oder die Gabe, deinen Lebenslauf als Teil des großen Weltengemäldes wahrzunehmen, überzeugt davon, dass in den Wechselfällen deines Schicksals ein Teil der Tragödien der Geschichteenthalten sind, da ist die heutige, die sich in der Gerüchteküche und den Schäbigkeiten von Olba spiegelt, aber auch die alte Geschichte von Treulosigkeit und Verrat im Krieg, sowie jene Geschichte, die Tausende Kilometer entfernt von hier aufgeführt wird, und jene, die Jahrhunderte zurückliegt. Es bewegen dich die Kriege, die in den Bergen Afghanistans geführt werden, an irgendeinem Ort in Kolumbien: Dein Leiden ist überall, im Kern jedes Unglücks, ganz so wie für die Christen der Leib Christi in jeder einzelnen Hostie und in allen zusammen steckt, der ganze Leib, geschmeidig und kraftvoll, in den zerbrechlichen Brotteilchen, die Tag um Tag den Gläubigen in jedweder Kirche der Welt gespendet werden, derselbe ganze und identische Leib in den Hostien, die Jahrhundert um Jahrhundert ausgeteilt wurden. Wie im Fall der Kirchgänger bestätigt mir deine Haltung, dass es die Lüge ist, die am besten dem Zahn der Zeit standhält. Du hältst dich an die Lüge und hältst sie hoch, ohne dass sie Schaden nähme. Die Wahrheit indes ist unbeständig, sie zersetzt sich, löst sich auf, entgleitet, flieht. Die Lüge ist wie das Wasser, farblos, geruchlos und geschmacklos, der Gaumen nimmt es nicht wahr, aber es erfrischt uns.
    Eine Sekte ohne Mitglieder oder Komplizen: Du, du allein, und deine Genossen, so allgegenwärtig und unsichtbar wie der Leib Christi in den Hostien, Golems nach dem Maß der eigenen Wünsche. Du zelebrierst deine Riten daheim: das kleine verglaste Büro in der Werkstatt, der Schuppen im Hof, die Einsamkeit deines Zimmers, wo du auf einem kleinen Toilettentisch das Radio stehen hast. Fünfziger-, Sechzigerjahre. Du presst das Ohr an das Gitter des Apparats, der auf eine kaum wahrnehmbare Lautstärke eingestellt ist. Du hörst die Nachrichten über Spanien bei der Londoner BBC, bei Radio Paris, Radio Pirenaica: um das Geräusch abzudämmen, deckst du ein Handtuch über den Apparat und deinen Kopf, keiner von uns darf das Zimmer betreten, wenn du Nachrichten hörst; in der Schreinerei, unter der Werkbank, an einer nicht einsehbaren Stelle(ich entdecke sie beim Spielen, als ich auf dem Boden herumrobbe) klebst du Fotos von der Pasionaria auf oder das bärtige Gesicht von Marx, die du aus irgendeinem alten Buch oder einer Zeitschrift ausgeschnitten hast. Es vergeht noch viel Zeit, bevor ich erfahre, wen du da an einem nicht zugänglichen Ort bewahrst, so wie die Höhlenmaler von Altamira die Abbildungen ihrer

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