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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
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auf das weiche Händchen von Pater Vicente, lächelten ihn wie Betschwesternan. All jene, die nach Francos Tod dann aus Speichern, Koffern, aus Löchern, gegraben in den Fußboden oder in den Stall, Fotos hervorholten, Schnappschüsse aus den Zeiten des Stolzes, und dafür jene vergruben, zerstörten oder verschwinden ließen, aus denen die späteren Schäbigkeiten und Komplizenschaften abzulesen waren. Wie sie sich darum stritten, das Traggestell des Heiligen auf den Prozessionen zu schultern; jener, der gerade mal heil davongekommen war und dem Pfarrer eine Kiste Orangen brachte (die süßesten der Saison, schleimt er) und sich anbot, die Reparaturen im Gemeindehaus gratis zu erledigen, mit gesenktem Kopf neben einer Säule der Messe folgend, die Baskenmütze zusammengerollt in den Händen. Jener, der auf einer der ersten Bänke bei den religiösen Feiertagen eifrig im Messbuch las und
Garten der Mönche
von Manuel Azaña im Küchenofen verbrannt hatte.
    Auch wenn du nicht wie vorgesehen im Sumpfgelände geblieben bist, warst du keiner von denen. Du bist in deinem Bau geblieben. Andere machten das auch. Sie haben gelebt, als hätten sie nicht gelebt. Sie zählten nicht, gehörten nicht zu ihrer Zeit. Sie starben nach und nach, ohne eine Existenz gehabt zu haben. Sie liefen hastig über die Bürgersteige, drückten sich an die Mauern, beobachteten die anderen aus den Augenwinkeln, abweisend. Sie blieben zu Hause und schmorten schweigend in der eigenen Traurigkeit. Du bist Teil dieser Schattenlegion, ebenso mit Würde beschwert wie bar jeden Einflusses. Kaum bist du aus dem Gefängnis, notierst du dir Feiglinge und Verräter. Bereitest den nächsten Akt vor. Schreitest deine Truppen ab. Du schätzt die Truppenstärke. Bittest meine Mutter, meinen Onkel darum, dir von diesem und jenem zu erzählen: ob sie den Kopf beugen, ob sie, wenn sie Leuten der Falange auf der Straße begegnen, stehen bleiben und sie begrüßen; du schickst mich, damals sieben oder acht Jahre alt, aus, um zu überprüfen, ob dieser oder jener zur Prozession kommt, ob er das Gestell trägt, ob er barfuß kommt und Ketten um die Fußgelenke hinter sich herschleift oder ob er das violette Büßerhemd trägt. Idiot, sagt er, wennich das bestätige. Idioten, was soll man von Männern denken, die sich ohne zu mucken anhören, was hoch von der Kanzel einer predigt, der doch nur sagt, was ihm gerade durch den Kopf geht, weil er weiß, dass niemand ihm widersprechen kann. Was ist denn das für eine Idee vom Gemeinwohl, gestandene Männer, die das Maul halten und heftig mit dem Kopf nicken, wenn der Priester redet: über gebärende Jungfrauen, Fischer, die alle Sprachen der Welt sprechen, Tote, die auferstehen, Teufel, die mit ihrem Dreizack die aufspießen, die in einem Topf schmoren oder auf dem Rost braten. Und sie halten den Mund. Sind wir denn nicht mehr richtig im Kopf? Du hättest mal die Versammlungen zu Zeiten der Republik sehen sollen, sagst du, die Treffen im Tivoli-Kino oder auf dem Rathausplatz: Alle schrien zur gleichen Zeit, fielen einander ins Wort, packten sich am Jackenrevers. Plötzlich schweigst du. Merkst, dass du mit mir sprichst. Bemerkst womöglich meine Abwehr. Du sprichst nicht mit einem Genossen, nicht einmal mit deinem ältesten Sohn, der dir nach dem Mund redet und dich dann doch verrät, sondern mit diesem anderen Sohn, den deine Geschichten langweilen, und du denkst: Er ist daran schuld – der Sohn, die Kinder, die Frau, bei dieser Frage macht er keine Unterschiede –, dass du hier bist, in der Werkstatt, im Haus, eine Fortführung des Gefängnisses – und das war es. Über Jahre sprach das Überwachungskommando bei ihm vor, er durfte das Städtchen nicht verlassen, musste sich wöchentlich auf dem Revier der Guardia Civil melden, und um sich zu wehren, um widerstehen zu können, widmete er sich der Entzifferung jener Zeichen, die angeblich darauf deuteten, dass etwas bevorstand. Die anderen hatten eine Schlacht gewonnen, aber der Krieg war noch nicht zu Ende. Nachdem er aus dem Gefängnis gekommen war, machte er einsame Spaziergänge um den Montdor. Um die da ja nicht zu sehen, klagte er. Später verkroch er sich daheim, wahrscheinlich, weil man nicht umhinkam, die zu sehen. Er ging nur aus beruflichen Gründen aus dem Haus. Er ging nicht in die Bar, weil er nicht auf die Blauhemden stoßen wollte, die sich beijeder Karte, die sie auf das grüne Spieltischchen knallten, aufs Pistolenhalfter klopften, wo sie die Waffe mit

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