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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
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beschränkte, der davon in irgendeinem Buch las. Ist es denn Sünde, keine Lust auf Revolution zu haben, nicht in der Geschichte schürfen zu wollen? Obwohl er, nach vielem Herumtasten, auch nicht auf die Geschichte oder auf den Kampf des Proletariats setzte. Er suchte sich andere, anheimelndere Räume für sein Abenteuer aus, während ich dann sogar darauf verzichtete, über solche Dinge durch Bücher zu erfahren (immer noch besser das Buch des eigenen Lebens). Schließlich und endlich schien die positive Option, nicht zu zerstören, sondern von dem, was ist, das Beste zu wählen – eine Entscheidung, die ihn damals beschäftigte und die er dann auch traf –, besser zu seiner sozialen Herkunft zu passen oder zum Status seiner Familie, oder, genauer noch, zu den Bestrebungen und Vorspiegelungen den Status seiner Familie betreffend; im Städtchen wurde dieser Status als eher hoch eingeschätzt, wenn auch als nicht ganz eindeutig; vom Ursprung jener Position (Falange-Papa: Pistole, Durchsuchungen, Schwarzmarkt, Sprünge über Felsbrocken, hinter zerlumpten, hungrigen Vogelscheuchen her) sprach man lieber nicht mit den fünf oder sechs traditionsreichen Familien mit ererbtem Vermögen in Olba, den sogenannten guten Familien seit jeher, die ihre Güter und ihren Status ohne großes Aufhebens und geschmacklose Übertreibungen bewahrt hatten; bei den Neureichen aber kam das von den Marsals vorgeführte Gaukelspiel an, Don Gregorio hier und Don Gregorio dort, das Dienstmädchen servierte mit Häubchen, wenn Gäste kamen, das schluckten die Emporkömmlinge aus der Nachkriegszeit und auch jene, die in den Sechzigern reich geworden waren, Leute, die sich in gewisser Weise als seine Nachfolger betrachteten und in ihm gespiegelt sahen – waren sie doch den Weg gegangen, den Don Gregorio Marsal gleich nach dem Bürgerkrieg eingeschlagen hatte: die zweite Generation der Plünderer, einige von ihnen Kinder derjenigen, die mit der Hundemeute mitrannten, der auch Marsal, an Bord seines Hispania, angehörte, Vorarbeiter, Kleinstbürger, Gesindel, gerade erst zu Geldund zu einem Waffenschein gekommen, nicht dass so ein Halunke ins Haus kommt und mir das Schwarzgeld aus dem Safe räumt. Die Kinder – noch unbedarfter – haben die spanischen Farben am Schlüsselbund und am Uhrenarmband, dazu stets einen Negeroder Marrokanerwitz auf den Lippen, überzeugt davon, dass dieser Kasernenjargon für Klasse bürgt, arme Ignoranten, sie merken nicht einmal, dass dies der Eingang für die Hofnarren ist. Die Marsals gelten etwas bei den lokalen Bauunternehmern, auch bei denen, die mit Baumaterialien handeln, Farben oder Eisenwaren verkaufen, den Kneipenbesitzern, bei all den Neuankömmlingen, die in den letzten dreißig Jahren darin wetteiferten, größere Faschos als ihre Vorgänger zu sein: die Sprösslinge der Kriegsgewinner: Suárez an die Wand. Carrillo–Paracuellos. Die Gräueltaten der Republikaner. Hitler hat das Judenmorden nicht zu Ende gebracht. Das ist die Prägung ihres Klassensiegels. Sie suchen Don Hinz und Don Kunz auf, beide sehr regimekonform, Brüder des Generals der Luftstreitkräfte oder des Obersten der Guardia Civil, und noch größer die spanische Flagge am Schlüsselbund, wenn sie das Auto starten, und als Handyklingelton tönt dir mitten beim Essen im Restaurant in voller Lautstärke die spanische Hymne entgegen, und sie stecken das
Cara al sol
in den CD-Player, sobald du in den Geländewagen gestiegen bist, ganz zu schweigen von der Tarnkleidung, die sie in diesem doch stark urbanisierten Gebiet anlegen, und ihrer Lust an Waffen, die sich als Jagdpassion verkleidet. Das war nicht mal von ferne Franciscos Welt, als er von hier verschwand, wäre es auch nicht geworden, wenn er hier geblieben wäre. Ganz im Gegenteil. Diese Leute waren sein Albtraum, der unsichere Boden, auf dem er sich bewegte, diejenigen, die seine Schande ans Licht brachten, die Leiche im Keller, die jedes neuere Vermögen belastet. Genau deshalb ist er fort, er floh vor dieser Umgebung, er war nicht bereit, durch die Tür der Clowns zu kommen, Komparse zu sein, und nichts anderes waren am Ende sein Vater und dessen Kumpanen gewesen, sie hatten für die Unterhaltung von Gouverneuren, Pseudoparlamentariernund hochrangigen Militärs hergehalten, die auf Besuch in der Region waren. Sie tischten ihnen Paellas auf,
all-i-pebres
, luden sie zu Bootsfahrten ein, damit sie auf die imposanten Klippen von Misent sehen konnten, während sie sich einen

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