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Am Ufer (German Edition)

Am Ufer (German Edition)

Titel: Am Ufer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rafael Chirbes
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wer weiß wie, Pe yote aus Mexiko oder Guatemala herbrachten und Meskalin mit religiöser Inbrunst und nach den Lehren des Hexers Castaneda schluckten. Laila buk köstliche Hanfkuchen, danach lachten und weinten wir in Erinnerung an irgendetwas Fernes, und am Ende fand man ein Kuschelplätzchen an einem freien Busen. Ja, ich glaube, sie hieß Laila, aber ganz sicher bin ich mir nicht mehr. Ob ich andere Sorgen hatte, weiß ich nicht. Von diesen Eskapaden kam ich stets zurück, und zwar regelmäßig – ich wüsste nicht zu sagen, warum – leicht angeekelt und (da weiß ich schon, warum) völlig blank. Im Stierkampf würde man sagen, dass ich Stalldrang hatte, ich pferchte mich ein, suchte den Bretterzaun, ohne dass jemand mich dazu trieb, das Heim zog an mir, die Krippe; wenn du mich fragst, zog der mütterliche Uterus an mir, und Leonor hat ihn mir geboten: Was ist Sex anderes als der Wunsch, sich in diese rosig weiche Höhle zurückzuziehen und einzugattern: in jemand anderen einzudringen, durch irgendeine der Öffnungen, der Wunsch, wieder dort zu sein, in der finsteren Höhlung, schön warm, geschaukelt im Fruchtwasser, gewiegt in Schleim. Uterus-Qualitäten hatten auch gewaschene Hemden, gebügelt und gefaltet in der Kommode, die Unterwäsche blitzte vor Weiß (mütterlich die Lauge, das Stück Seife Marke Lagarto, das Waschblau, wie die Wäsche an der Leine flattert auf der sonnigen Dachterrasse unter der blauen Kuppel des Himmels, ich sehe, rieche sie, der Reistopf, wie sich’s gehört, mit Bohnen, weißen Rüben, Mangoldstängeln, Schweinepfoten undohrensowie Blutwurst, steht heiß und saftig und zur rechten Zeit auf dem gedeckten Tisch). Dennoch mache ich noch heute meinen Vater für meine wiederholte Rückkehr verantwortlich. Das ist die Version, die ich den anderen erzählte, nicht denen aus dem Dorf, denen habe ich nichts erzählt, wozu auch sollte ich ihnen einen Grund für Witze oder Kritik liefern, denn etwas anderes hätte ich damit nicht erreicht, in Olba ist es keine gute Idee, Wahrheiten zu verbreiten, aber den Freunden, die ich dort draußen kennenlernte, von denen ich mit einigen noch eine Weile in Briefkontakt stand oder ab und zu mit ihnen telefonierte (was wohl aus ihnen geworden ist? Fast fünfzig Jahre ist das her, und doch kann ich mich noch an sie erinnern. Wie viele von ihnen sind jetzt bereits nur Lumpen und Knochen?) und die eine Zeit lang Freunde gewesen waren, mit denen ich in Paris einen Café Calva nah der Bastille trank, gegenüber einer Bushaltestelle in die Peripherie (Vitry, Ivry, Maisons-Alfort, Vincennes), oder ein Pint Bier in Candem; jene, mit denen ich mich in den paar Monaten an der Akademie der Schönen Künste traf und die ich danach nie wiedersah, ich habe mir diese Geschichte auch immer wieder selbst erzählt, der Kummer über das, was hätte sein können und nicht war: Ich erzähle mir, dass mein Vater mich an die Schreinerwerkstatt band, mir die Flügel stutzte, wie die Bauern den Hausenten, damit sie nicht losfliegen, wenn sie von hoch oben von jenen Zugvögeln gerufen werden, die vom Sumpfgelände aus Richtung Norden migrieren (die Biologen legen ihnen jedes Jahr Ringe an und stellen fest, dass sie nach England, Russland, Schweden ziehen, Ururenkel jener Vögel, die den Nils Holgersson meiner Kindheit transportiert haben), Padre Padrone, der mich dazu verdonnerte, bei ihm zu bleiben, da die anderen Brüder entflogen waren. Einer inzwischen weit entfernt vom nebligen Ziel irgendeines Zugvogels: Germán weilte seit wenigen Monaten im Land der Nimmerwiederkehr. Carmen war gerade nach Barcelona entfleucht, fast noch ein Kind, sagte mein Vater mit Tränen in den Augen – das einzige Mal, dass ich ihn weinen sah –, und der Dritte, der VerwandlungskünstlerJuan, wer weiß schon, wo der sich aufhält, von hier nach da. Wir waren eine Vogelfamilie, flatterhaft, migratorische Kinder des Sumpfes. Ich bin zum Prinzip der Sesshaftigkeit zurückgekehrt. Die Beharrlichkeit meines Vaters hatte seit dem Tod meines älteren Bruders etwas Herrisches bekommen. Seine Besitzansprüche. Er wollte mich hier, bei ihm, er wollte einen Gehilfen und einen Erben haben, der seiner Arbeit einen Sinn gab (versuch es doch wenigstens, Schreiner zu werden, hatte er gesagt), ich sollte seinem Leben einen Sinn geben. Eine Schreinerei nur für ihn allein entlarvte sein futuristisches Gerede, seinen Egoismus, als wäre das, was er aufrechterhielt, nur für ihn allein. Wenn er nicht für jemanden

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