Am Ufer (German Edition)
und das Herz werden platzen wie eine wohlgefüllte Piñata. Schließlichund endlich bin ich zum Ficken hergekommen. Baden kann ich auch zu Hause. Nein, Francisco kommt nicht zu diesen Orten. In Olba wird dein Bild angekratzt bei jedem falschen Spielzug, die Figur verliert Kontur, und schon gibt es keine Möglichkeit mehr, sie wiederherzustellen; mein Jugendfreund, die Lokaleminenz: Als wir hier noch Wein von der Kooperative von Misent tranken und die Paellas bei irgendeinem Imbiss bestellten, war er Journalist in Madrid, bei einer Zeitschrift mit nationaler Verbreitung, Vinofórum, und er war Miteigentümer eines angesagten Restaurants. Als Besitzerin war seine Frau eingetragen (man weiß ja nie, sie hatten sich für Gütertrennung entschieden), und dank kastilischer Unternehmer aus Valladolid und Salamanca wurde er deren Partner bei ein paar kleinen, romantischen Hotels, inklusive Weinkellerei, alles mit einem Hang zum Mittelalterlichen, bis in die Namen hinein, da gibt es so manchen mittelalterlichen Franquisten, der in diesem Scheißland wie die Made im Speck sitzt, erklärte er, ich könnte dir Sachen erzählen, und dann redete er von den Hängen in Burgund und von dem Corton-Charlemagne, alles Weißwein, weil der Kaiser blond war und Rotwein seinen Bart befleckte; und von der Romanée Conti, dem Médoc und dem Château Latour. Er erklärte dir die Vorzüge von
botrytis cinerea
, diesem nebligen Schimmelpilz, der die Weine von Sauternes versüßt; und er belehrte dich über die Dekantierungszeit, die jede Flasche erfordert: ein Experte für Weine und Autor von Kochbüchern und Reiseliteratur. Die Römerbriefe des Apostel Paulus interessierten ihn nicht mehr, ebenso wenig wie der Moraltheologe Miret Magdalena; und das Zweite Vatikanische Konzil war ihm piepegal, er erinnerte sich schon gar nicht mehr daran (Wann war denn das? – in den fernen Sechzigern), auch nicht an Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die er noch Jahre zuvor gelesen und erörtert hatte. Über die wir beide an so vielen Abenden diskutiert hatten. Er erzählte mir vom Apostel Paulus, ich war aber schon damals nicht gläubig, hatte da schon mehr, wenn auch nicht viel, für die deutschen Revolutionäre übrig: deren Abenteuer warenspannender, wenn mich auch etwas der rote Faden der Politik, der sich durch alle Wechselfälle ihres Schicksals zog, störte; das war eher etwas für meinen Vater. Francisco hätte sicher etwas davon gehabt, mit ihm zu diskutieren, wenn denn mein Vater dazu bereit gewesen wäre, aber der konnte Francisco nicht verzeihen, den Vater zu haben, den er hatte, und ich war schon immer allergisch auf Helden und Heilige, ich fühlte mich nicht in der Lage, solchen Beispielen zu folgen, darüber haben Francisco und ich gesprochen, damals haben wir heiß diskutiert, nicht nur hier, auch in Paris, London, in Ibiza, in den Monaten, die meine große Flucht gedauert hat, mein erregender Indian summer, der in Leonors Netzen endete. Danach die vierzig langen Winterjahre. Diese Leute aus der Weimarer Republik gehörten für Francisco zur Familie (er hatte sich bei jenen eingereiht, die dem Jäger Gregorio Marsal eine willkommene Beute gewesen wären), vertraut war auch die Landschaft, der eisige Kanal, in den die sozialdemokratischen Genossen sie mitunter hatten werfen lassen. Wir wussten besser über ihre Schicksale Bescheid als über das, was unsere Großväter erlitten hatten. Mir hatte man kaum etwas vom Ende meines Opas erzählt, alles nur halb ausgesprochen, als gewusst vorausgesetzt, ich wusste noch nichts von dem Genickschuss, ein paar hundert Meter von unserem Haus entfernt, aber ich wusste von den revolutionären Leichen, die im eisigen Wasser der Spree trieben (wenn man von Verbrechen und Deutschland spricht, ist immer Nacht und Nebel, und das Wasser muss eisig sein: sogar Marx spricht in seinem Manifest von eiskaltem Wasser, das bei ihm das der kapitalistischen Berechnung ist, daran kann ich mich noch erinnern). Ich glaube auch nicht, dass Francisco von der Jagdleidenschaft seines Vaters in den Vierzigerjahren gewusst hat. Wir waren ja schon Anfang der Achtziger. Und mit anderen Themen beschäftigt. Es ging nicht mehr um Gefängnisse, noch um Leichen, die im trüben, kalten Wasser der Flüsse trieben, es sei denn als Kapitel eines Abenteuerromans, so etwas wie die Erlebnisse des Michael Strogoff an den Wassern des Jenissei, Abenteuer, deren Held Franciscohätte sein wollen, während ich meine Rolle auf die des Neugierigen
Weitere Kostenlose Bücher