Am Ufer (German Edition)
Schlamm und verdamme mich, es ist ungerecht, ich halt das nicht aus, du gemeines Stück, abends komme ich nach Hause, manchmal voller Wut, andere Male möchte ich einfach nur losheulen, doch immer mit Alkohol abgefüllt. Ich dachte an alles, was ich verpasst hatte, weil ich nicht den Mut gehabt hatte, von hier wegzugehen. Ich hätte mich von den deutschen Märtyrern und den eisigen Kanälen befreien können, ohne mich gleich wieder zu Hause einzunisten: mein Vater und die Werkstatt. Francisco hat es gemacht, er hat sich von ihnen allen befreit, und das obwohl er einen Glauben hatte, den ich nie kennengelernt habe. Mein Vater war ein Liebknecht für den Hausgebrauch, und ich hatte mich mit ihm zusammen eingesperrt, oder trieb, erschlagen mit ihm, in einem eisigen Kanal. Gemeinsam trieben wir dahin, doch mein Planet war mit dem seinen nicht zu vergleichen. Säge, Hammer, Stecheisen, Drehbank, Drillbohrer, die Rufe meines Vaters, die Rufe der Tute-Spieler in der Bar, das zwanghafte Trinken, das Münzenzählen am Wochenende, mal sehen, ob ich genug zusammengespart habe, um mir ein halbes Stündchen im Lovers zu genehmigen, vierzig Jahre in einer Welt, die so schäbig und rau war wie eine Feile, vulgär und mies, derweil tummelt sich meine Jugendliebe, die nicht Mutter meines Kindes sein wollte, mit meinem besten Freund in einem Paradies, das bevölkert ist von getrüffelten Truthähnen, Poularden, Blutenten a la Rouennaise, polyglotten Menschenwesen und Hotelzimmern mit Blick auf den Genfer See. Ich fühlte mich wie ein ungeschickter Astronaut, ausgesetzt auf unwirtlichem Meteorgestein, während die Mannschaft des Raumschiffs weiter ihrem Ziel entgegenfliegt, einem unbekannten blauen Planeten, von Vegetation bedeckt und mit Seen gesprenkelt,wo lockende Nymphen und lüsterne Faune wohnen. Fehlender Ehrgeiz, Konditionierungen des Milieus. Ich dachte: Ich bin Eigentümer meiner Entbehrungen. Mein einziges Eigentum ist das, was mir fehlt. Das, was ich nicht fähig bin zu erreichen, was ich verloren habe, das habe ich, das ist wirklich mein Eigen, das ist die Leere, die ich bin. Ich habe, woran mir mangelt. Und ich spürte unendliches Mitleid mit mir und einen Groll, der sich manchmal wie Hass auf sie anfühlte, falscher Hass (nein, nein, gehasst habe ich sie, glaube ich, nie, sie erregte mich, wenn ich sie sah, ich begehrte sie, begehrte sie bis zum Ende, sie war für mich die einzige Frau) und falscher Hass auf Francisco, der sich auf meinen Vater ausdehnte (was ist mit ihm? Habe ich ihn gehasst? Hasse ich ihn noch immer?), oder umgekehrt, Liebe durch Abwesenheit. Sie waren Kopf und Zahl derselben Münze, das, was sich mir unerreichbar anbot, war die eine Seite, und auf der anderen war eingeprägt, was mir verweigert wurde: Francisco führte mir vor, was ich hätte sein können, und die Tiefe dieses Nichts, das zu meinem einzigen Eigentum geworden war, führte mir mein Vater vor, er rieb mir unter die Nase, was ich nicht sein würde: da war die Werkstatt, die möblierte Wohnung, in der kein Platz war, den ich mein Eigen hätte nennen können, die Käfige mit den Distelfinken, die ich seit Mutters Tod versorgte, die Samstagnachmittage in dem Zimmerchen mit den Postern von Deep Purple, Jimi Hendrix und Lou Reed, die allmählich vergilbten und die ich schließlich von der Wand riss; das samtige Fleisch, bläulich oder rosig beschienen am Tresen eines Klubs, der im Laufe der Jahre den Ort wechselte, den Namen wechselte und doch der gleiche blieb, die halb zugewachsenen Wege durch den Marjal, der Geruch nach nassen, fauligen Pflanzen, die Federn eines Blässhuhns, in eine schlammige Flüssigkeit getaucht und klebrig von Blut, der dampfende Dunst, der aus dem Fell eines hechelnden Hundes steigt. Das meinige, bevor das Wort mein nur noch die Lücke für das Verlorene wurde, waren die zwei, drei Eskapaden ins Abenteuer hinein gewesen, die Francisco rentabel zu gestalten wussteund die ich verschwendet hatte. Bei all diesen Gelegenheiten waren wir zusammen, besser gesagt, immer war Francisco die treibende Kraft: ein paar Monate in Paris, wahrscheinlich aus dem einzigen Grund, weil man, um das Leben groß zu leben, oder um auf ein großes Leben zu setzen, schon immer nach Paris hat gehen müssen; ein Aufenthalt in London, weil damals die Avantgarde in London war, Op und Pop, das was in war, wurde dort ausgeheckt; einige Monate in Ibiza, vor dem Auftauchen der Hippies, wo es aber schon ein paar Leute gab, die Marihuana anbauten und,
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