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Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)

Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)

Titel: Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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gibt’s Knast für diese Scheißtypen.«
    »Merkt euch die Gesichter«, sagt Jakob.
    »Prima. Wir werden Phantomzeichnungen von den Idioten anfertigen. Dann Gegenüberstellungen, wir identifizieren die Typen, dann unser Auftritt vor Gericht als Zeugen der Anklage. Interviews. Unschuldige Jugendliche in der Hand von brutaler Rockerbande«, schwärmt Cem.
    »Großes Kino«, sagt Simon.
    »Ganz großes Kino«, bestätigt Jakob.
    »Mir wär’s lieber, wir wären hier schon raus«, fügt Laura leise an.
    Jakob sieht sie an. Ihre Schönheit macht ihn beklommen, irgendwie klein und sprachlos.
    Er hasst sich dafür, aber kann nichts dagegen machen. Simon ist da ein anderes Kaliber. Der hat keine Selbstzweifel.
    Es war verzwickt. Je verliebter er war, desto stummer wurde er. Und je stummer er wurde, desto weniger Chancen hatte er bei ihr. Er wusste, dass es besser wäre, witzig zu sein, aber seit er sich in sie verliebt hatte, fiel ihm in ihrer Gegenwart nichts Witziges ein. Sie ahnte wahrscheinlich nicht einmal, was er für sie empfand. Jakob schlug mit der Faust auf den Boden. Er war in einem Gefängnis. Über diesen Vergleich musste er grimmig lächeln. Er war real eingesperrt, hier in diesem Vorraum einer Mastanlage für Puten, und er war innerlich eingesperrt in seiner verdammten Schüchternheit. Beide Male war er Laura ganz nahe und doch so weit entfernt, als wäre sie auf einem anderen Stern. Die Tragik meines Lebens, da kann ich nichts machen.
    Ob Laura wohl ihren Spitznamen kannte? Wenn sie anwesend war, nannte sie jeder bei ihrem Vornamen. Laura. War sie nicht anwesend, nannten sie alle in der Schule »die Philosophin«. Auch das passte zu ihr. Er kannte niemand, der klüger war als sie. Er kannte niemand, der sich so intensiv damit beschäftigte, wie man richtig lebt. Was falsch und was richtig war. Sie war natürlich Vegetarierin. Die Jungs machten sich lustig über die Tusse aus der Parallelklasse, die kein Fleisch essen wollte. Er fand das auch sonderbar. Aber sie war so klar und so – schön.
    Genau genommen hatte das Schicksal es sogar gut mit ihm gemeint. Es gab ihm zwei Chancen. Und er hatte sie beide vermasselt.
    Beim ersten Mal rannte er sie um. Er war in der großen Pause zum Snack-Border am Berliner Platz gerannt und hatte zwei Käsebaguettes verdrückt. Hunger und wenig Geld – keine gute Kombination. Er spülte das trockene Zeug mit einer Cola runter, sah auf die Uhr: In drei Minuten begann der Chemieunterricht. Also zahlte er und verlor eine Menge Zeit, weil der Typ an der Kasse erst vergaß, die Cola einzutippen, und daher die Baguettes und die Cola getrennt kassierte. Jakob rannte über die Schlossstraße zur Schule, und auf dem Schulhof musste er einem Pulk von Sechstklässlern ausweichen, die das Gebäude verließen und sich vor dem Schaukasten am Eingang drängelten, um den aktuellen Vertretungsplan zu lesen. Er rannte die Treppe hoch in den ersten Stock und wumm – stieß er mit einem von den Idioten zusammen und ging zu Boden.
    »Hey du Flachwichser, kannst du nicht aufpassen«, fauchte er, und als er sich aufrappelte, sah er, dass es ein Mädchen war – Laura aus der Parallelklasse, die nun in die Hocke ging, um ihre Hefte und Bücher aufzusammeln. Sie sah auf, schaute ihm direkt in die Augen – Laura mit ihren unglaublich blauen Augen, das muss man sich mal vorstellen –, sah ihn also direkt an, und sofort stoppte die Zeit. Oder sie verlangsamte sich zu extremer Slow Motion. Später überlegte er, wie lange sie sich angesehen hatten. Ihm kam es vor wie Stunden. Er sah sie an, sie sah nicht weg.
    »Bin ich ein Flachwichser?«
    Dazu ein zartes Lächeln. Spöttisch und zugleich irgendwie – interessiert.
    Er murmelte etwas wie »Sorry, ja, natürlich nicht, geht ja auch nicht« oder irgendeinen Stuss in diesem Sinne, dann bückte er sich und half ihr, die Hefte aufzusammeln.
    »Danke. Du bist ja richtig nett.«
    Dann ging sie. Einfach so.
    In Chemie war er immer gut gewesen. Es war eines seiner Lieblingsfächer, aber an die nachfolgende Unterrichtsstunde hatte er keine Erinnerung mehr. Null.
    »Du bist ja richtig nett.«
    Er sagte sich diesen Satz auf, einmal, zweimal, dreimal, hundertmal, wahrscheinlich tausendmal.
    Das war die erste Chance.
    Er hatte sie nicht ergriffen, sondern war an der Ecke des Flurs stehen geblieben und hatte ihr nachgestarrt.
    Das zweite Mal sah er sie eine Woche später im Lichthof. Sie stand mit dem Rücken gegen die Glasscheibe gelehnt und las in einem Buch,

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