Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)
Er macht uns Schande in der ganzen Familie. Und jetzt fängt unsere Tochter mit dem gleichen Unsinn an.«
Er sieht Dengler fast flehentlich an. »Essen Sie gerne Zicklein?«
Dengler hebt die Arme und zuckt die Schultern: »Meine Eltern waren Bauern.«
»Sehen Sie! Dann verstehen Sie mich. Jedes Jahr zum Ende des Ramadan bereite ich für meine Familie ein Zicklein vor. Ich suche es aus. Ich bereite es zu. Mit etwas Rosmarin! Wunderbar.« Die Augen von Cems Vater leuchten. »Und dann isst der eigene Sohn nichts davon. Niemand versteht das in der Familie, mein Bruder nicht, meine Schwägerin nicht, Cems Cousinen und Neffen nicht.«
»Unserem Sohn hätte Schlimmeres widerfahren können.«
»Da hat meine Frau recht. Sie hat meistens recht. Aber trotzdem: das Zicklein verschmähen. Wenn das keine Sünde ist!«
Er lässt die Hände wieder in den Schoß fallen.
»Jakob hat gesagt, er fährt mit Freunden nach Barcelona. Jetzt gibt es Anzeichen, nicht mehr, aber doch Anzeichen, dass er nicht dort ist. Ich weiß es nicht, aber ich würde mich besser fühlen, wenn ich wüsste, dass er wohlauf ist.«
»Morgen kommt Cem zurück. Wir werden ihn fragen, was er weiß.«
Dengler gibt den beiden seine Telefonnummer. Er trinkt den Tee aus und verabschiedet sich.
50. Olgas Computerzimmer, abends
Am Abend ruft er Hildegard an.
»Vielleicht regen wir uns umsonst auf«, sagt sie.
»Ich war nie ein Helikoptervater. Aber ich will wissen, dass Jakob nicht in Gefahr ist.«
»Das ist gut, Georg«, sagt sie und legt auf.
Olga zeigt auf ihren Computer. »Ein weiteres Kennwort deines Sohnes ist gehackt«, sagt sie. »Wenn du irgendetwas über Schweine wissen willst: bitte!« Sie zeigt auf den Bildschirm.
Sie sehen sich einige Filme an. Junge Schweine werden kastriert, jungen Schweinen wird der Ringelschwanz abgeschnitten, jungen Schweinen werden die Zähne abgeschliffen. Sie quieken und schreien, fast wie kleine Kinder. Ohne Betäubung, sagt Olga. Auch diese Filme wirken noch roh und ungeschnitten. Offensichtlich sind sie mit versteckter Kamera aufgenommen worden.
Außerdem gibt es in dem Ordner noch einige Textdokumente. Dengler öffnet das erste.
Zusammenfassung der offiziellen Schlachtstatistik. In Deutschland werden pro Jahr 58 Millionen Schweine getötet. Das ist pro erwachsenen Bürger Deutschlands fast ein ganzes Schwein.
Trotz all unserer Kampagnen wächst die Massentierhaltung in Deutschland.
Nach Angaben der Schlachthöfe waren 137000 Schweine »insgesamt schlachtuntauglich«. Aber auch die Schweine, die geschlachtet wurden, waren zu Lebzeiten nicht so gesund, wie man sich das im Allgemeinen vorstellt. Fünf Millionen Tiere hatten eine geschädigte Lunge, fünf Millionen litten an Leberschäden durch Parasitenbefall. Nach Angaben der Zeitschrift »Schweinezucht und Schweinemast« vom März dieses Jahres litten 12,8 Prozent aller Schweine an Lungenentzündung, 8,2 Prozent an Brustfellentzündung, 4,1 Prozent an Herzbeutelentzündung.
Der Stich kommt von tief innen. Er kennt seinen Sohn überhaupt nicht. Jakob betrieb Studien über Herzbeutelentzündungen bei Schweinen! Und redet mit ihm darüber kein Wort.
Man muss dazu sagen, dass diese Schweine im Teenageralter bereits schwer krank sind. Sie werden ja nicht älter als ein halbes Jahr, also vierzehn, fünfzehn Jahre, umgerechnet auf ein Menschenleben.
Dann erinnert Dengler sich an ein Gespräch. Es muss schon eine Weile her sein. Das Huhn von Oma möchte nicht sterben, hatte Jakob zu ihm gesagt. Georg hatte umfangreiche Erklärungen abgegeben, dass der Zweck des Hühnerlebens das Schlachten sei. Wenn die Oma das Huhn nicht schlachten wollte, würde es gar nicht leben, und bei der Oma hatten die Hühner es gut.
Aber wir verhungern nicht, wenn wir es nicht essen.
Er hatte gelacht. Natürlich nicht, wir würden nicht verhungern. Aber es schmeckt uns einfach.
Er hatte nie über das Sterben der Tiere nachgedacht. Auf dem Hof seiner Eltern wurde einmal im Jahr ein Schwein geschlachtet. Es war eines der wichtigsten Ereignisse im Jahr. Die Tanten kamen mit ihren Männern, Nachbarn auch, alles wurde vorbereitet, die Messer geschliffen, die Wannen bereitgestellt, Wasser gekocht. Jeder regte sich, jeder hatte etwas zu tun, und es lag eine große Unruhe in der Luft. Er erinnert sich genau, wie er zum ersten Mal beim Sterben eines Schweins dabei war. Das Tier wurde in den gekachelten Raum hinter der Scheune geführt. Er erinnert sich, dass das Schwein unruhig war, es grunzte
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