Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)
wollte sowieso mal mit Ihnen sprechen. Jakob hat uns Sorgen gemacht in letzter Zeit.«
Dengler sieht den Schulleiter an. Er sitzt einem drahtigen Mann von etwa fünfzig Jahren gegenüber, der in schnellem Takt mit dem Kugelschreiber auf den Schreibtisch klopft. Er trägt einen braunen Anzug, ein hellgelbes Hemd mit einer grünen Krawatte. Haare grau, vorne mit einem silbernen Streifen, ebenfalls drahtig und kurz. Graue Brille, dahinter schmale Augen. »Ihr Sohn hält den gesamten Lehrkörper für, für …«
»Arschlöcher?«, schlägt Dengler freundlich vor.
Der Schulleiter sieht ihn unwirsch an. Das Klopfen mit dem Kugelschreiber wird schneller. »Ich bin froh, wenn er das Abitur in der Tasche hat. Erst macht er die ganze Schule verrückt mit Stuttgart 21, dann entdeckt er den Tierschutz. Er verlangt, dass es mittags bei uns vegetarisches Essen gibt. Dazu sammelt er Unterschriften der Schüler.«
Verärgert schüttelt er den Kopf.
»In unserer Kantine gibt es Nudeln mit Bolognesesoße, Salat, Dessert, Nudeln mit Tomatensoße, Baguette mit Salami oder Schinken oder Käse, Lasagne mit Rinderhack. Das kostet die Schüler zwei Euro, drei Euro oder maximal drei Euro fünfzig. Was glauben die denn alle, was man für die paar Euro machen kann?«
Der Kugelschreiber klopft und klopft.
»Entschuldigen Sie, Herr Direktor, vielleicht können wir darüber ein anderes Mal sprechen. Ich wollte Sie eigentlich fragen, ob Sie etwas von einer Reise nach Barcelona wissen, die ein paar Ihrer Schüler gemeinsam unternehmen wollten?«
»Davon weiß ich nichts.«
Der Kugelschreiber zerbricht in seine Einzelteile.
57. Hof des Bauern Zemke, Nähe Oldenburg, mittags
Laura sitzt zusammengekauert in der hintersten Ecke ihres Gefängnisses, die Arme um die angezogenen Beine geschlungen, den Kopf auf die Knie gelegt, und das einzige Geräusch, das sie von sich gibt, ist das Zähneklappern, das in kurzen Intervallen ertönt und den ganzen Raum ausfüllt. Hin und wieder kommt aus ihrer Ecke ein Schniefen, das tief aus ihrer Brust kommt und das Jakob geradewegs das Herz bricht.
Sie mag keinen von ihnen neben sich haben, sogar Simon schickt sie weg, als er sie trösten will.
Keiner von ihnen hat in der Nacht geschlafen. Als die Rocker gegangen waren, hatten Jakob und Cem den Holztisch mit dem Rücken gegen die Tür gewuchtet. Warum sind sie erst jetzt auf die Idee gekommen? Die ganze Nacht über haben Jakob, Simon und Cem abwechselnd Wache gehalten. Falls die Verbrecher wieder auftauchten, wollten sie den Tisch mit aller Kraft gegen die Tür stemmen. Aber die Rocker kamen nicht wieder. Keiner von ihnen sprach darüber, aber allen war bewusst: Diese Sperre würde angesichts der Überzahl und der Stärke der Rocker nicht lange halten.
Das weiß auch Laura.
Jakob setzt sich in einem Meter Abstand zu ihr auf den Boden. »Es tut mir leid, dass ich diese Schweine nicht aufhalten konnte.«
Sie schluchzt und hebt den Kopf, und Jakob sieht in tränenverschmierte Augen. Was redest du, Jakob? Ohne dich hätten die Kerle mich vergewaltigt.«
»Ja, dass mir das mit den Fingerabdrücken eingefallen ist …«
Der kleine Chefrocker war ausgetickt, als Jakob gerufen hatte: Auf dem Kanister gibt es keine Fingerabdrücke. Er hatte Dschingis Khan und die anderen von Laura weggezerrt. Dann waren sie mit Fahrradketten in das Gefängnis zurückgekommen, und jeder der Jugendlichen musste den Kanister dreimal in die Hand nehmen. Jetzt hatten die Rocker einen Behälter mit ihren Fingerabdrücken. Was auch immer das zu bedeuten hatte. Laura hat Striemen an den Beinen und am Bauch, aber sie war Schlimmerem entgangen.
»Aber sie kommen heute Nacht wieder.«
»Wir müssen herausfinden, was sie vorhaben. Wir müssen nachdenken. Das können, glaube ich, wir beide am besten.«
Laura zieht die Nase hoch, reibt sich die Augen. Ihr Atem bebt noch einmal. Sie nickt.
»Lass uns noch einmal alles zusammentragen, was wir wissen«, sagt sie.
58. Stuttgart, Café Königx, mittags
»Ich bewundere Jungs wie Jakob, wirklich.«
Er sitzt Edith Metzger gegenüber, Jakobs Deutschlehrerin, einer Frau in Dunkelblau: dunkelblaue Schuhe, dunkelblaue Jeans, Jackett und T-Shirt. Dazu kinnlange Haare, Dunkelblond, randlose Brille in einem offenen Gesicht, kein Ehering, leichte Falten um die Mundwinkel, Lachfalten um die Augen, Mitte vierzig schätzt Dengler, alles in allem deutlich sympathischer als der Schulleiter.
Sie hatte das kleine Café vorgeschlagen, das nur wenige
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