Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)
Wir verkaufen aber nach Gewicht. Deshalb wird heute nach der Zerlegung das Fleisch oft schockgefroren, damit kein Gramm Wasser verloren geht. Aus diesem Grund wird in die Verpackungen immer ein saugfähiger Vliesstoff eingelegt, der das entstehende Wasser aufsaugt, wenn die Ware im Handel ist. Denn es wäre nicht schön, wenn das Schnitzel in einer wässerigen Brühe schwimmen würde. Die Leute zahlen für Wasser. Es ist ein gutes Geschäft, denn Wasser kostet uns nur 0,002 Euro pro Liter. Verwendet man Wasserbinder, kann man in das Fleisch zusätzliches Wasser spritzen, um das Gewicht zu erhöhen. Die Differenz zwischen dem Wasserpreis und dem Fleischpreis ist enorm, und wir freuen uns über diesen Zusatzgewinn. Die heiße Pfanne aber lügt nicht – da verdampft das Wasser, und das Fleisch schrumpelt auf seine Originalgröße.
Aber da ist es schon bezahlt.
Es gibt natürlich Geschäftspraktiken, die sind so, na ja, offensichtlich, da muss man fast drüber lachen. Einer meiner Wettbewerber, bekannte Marke, wurde erwischt, als er jeden Tag zwei Lkw-Ladungen Fleisch aus Polen beimischte. Sehr billig das Fleisch, allerdings schon leicht verwest. Jeden Tag zwei Lkws, das sind immerhin 40 Tonnen, die er dem frisch Geschlachteten untergejubelt hat. Jeden Tag. Ein paar Rumänen haben das verweste Material ausgeladen und schön mit Kaliumpermanganat abgewaschen. Das ist ein Teufelszeug. Aber gut. Sehr gut sogar. Wird als Mittel gegen Fußpilz eingesetzt. Das überlebt keine Bazille auf der Fleischoberfläche. Innendrin, nun ja, da regen sie sich munter weiter und treiben den Verwesungsvorgang voran. Aber das kriegt ja keiner mit. Das Gemisch mit dem Verfaulten kommt dann ins Marinierte. Und in das Fleisch für die Volksfeste. Vor lauter Marinade schmeckt man eh nichts. Und: Die Leute trinken auf der Kirmes Bier und Schnaps, und nicht nur einen, und wenn es ihnen am anderen Morgen schlecht ist, denken sie: Hätt’ ich nur ein Bier oder einen Schnaps weniger getrunken. Keiner von denen denkt mehr an die Currywurst oder die Bulette oder den Schweinekamm.
54. Stuttgart, C&A, Damenabteilung, vormittags
»Vielen Dank, dass Sie gekommen sind«, sagte Cems Mutter.
Sie stehen zwischen zwei Kleiderständern, und Frau Caimoglu nimmt einen Kleiderbügel von der Stange, hält sich ein Kleid vor den Körper und dreht sich vor einem Standspiegel, als prüfe sie, ob es die richtige Größe sei. Dengler steht neben einer zweiten Reihe mit Frauenkleidern und wartet. Wenn sie dies für einen unauffälligen Ort für eine Verabredung hält, täuscht sie sich. Gründlich. Es sind nur Frauen in dieser Abteilung. Und einige von ihnen starren ihn bereits misstrauisch an.
»Was ich Ihnen jetzt sage, muss unbedingt unter uns bleiben. Mein Mann darf nichts erfahren – unter keinen Umständen.«
Dengler nickt.
»Er ist ein guter Mann. Und ein guter Vater. Aber ein bisschen zu streng zu Cem. Sie verstehen?«
»Sehr gut. Väter eben …«
Sie sieht ihn an und beißt sich auf die Lippen. »Cem ist nicht mit seinem Onkel unterwegs.«
Sie sieht ihn an.
»Der Junge ist erwachsen. Aber mein Mann versteht das nicht. Deshalb hilft ihm mein Schwager …«
»… mit der Ausrede, dass er ihn auf eine Lieferfahrt nach Istanbul mitnimmt.«
»Wenn Sie sich Sorgen um Ihren Sohn machen, dann muss ich mich wohl auch um Cem fürchten?«
»Ich hoffe nicht. Wann kommt Ihr Bruder aus Istanbul zurück?«
»Morgen.«
»Dann hoffen wir, dass Cem und Jakob morgen wieder auftauchen.«
»Wenn mein Mann herausfindet, dass sein eigener Sohn, seine eigene Frau und sein eigener Bruder ihn angelogen haben … Ich will gar nicht daran denken. – Sie versprechen, mir alles zu sagen, was Sie herausfinden?«
Sie nimmt ein anderes Kleid, dreht sich damit vor dem Spiegel, doch sie sieht es mit keinem Blick an.
Dengler nickt zum dritten Mal. »Ich verspreche es«, sagt er und geht.
55. Stuttgart, Berliner Platz, vormittags
Dengler zieht das Handy aus der Hosentasche, sieht auf das Display, bleibt sofort stehen und nimmt das Gespräch an.
»Georg, der Verbindungsbeamte des BKA bei der spanischen Botschaft heißt Christof Streich. Ich hab mit ihm gesprochen. Er wartet auf deinen Anruf. Ich schick dir die Nummer per SMS , okay?«
»Marlies, du bist großartig.«
»Ich weiß.«
56. Stuttgart, Jakobs Schule, mittags
»Danke, dass Sie sich trotz der Pfingstferien Zeit genommen haben.«
»Ich hatte ohnehin in der Schule zu tun. Gut, dass Sie da sind. Ich meine, ich
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