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Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)

Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)

Titel: Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Schorlau
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Erklärung. In der Zeit von Cortez gab es keine Epidemiologie, die hier Zusammenhänge hätte aufdecken können. War das nur ein weiterer Beweis für die Unterlegenheit der »wilden Rassen«, wie rassistische westliche Lehrmeinungen solche Vorgänge nur allzu gern interpretierten?
    Dieses mysteriöse Sterben der Bewohner der »Neuen Welt« – in welchen Dimensionen muss man sich das vorstellen? War das tatsächlich ein wesentlicher Faktor? Mit dem heute zur Verfügung stehenden Instrumentarium der Wissenschaften beweist Diamond eindrucksvoll: Nur fünf Prozent der von Europäern wissentlich oder unwissentlich getöteten Menschen gehen demnach nicht (!) auf das Konto von eingeschleppten Krankheitserregern.
    An dieser Stelle muss man sich nun fragen, was all das mit Nahrungsmittelproduktion, insbesondere Tierhaltung, zu tun hat.
    Die Antwort ist ebenso einfach wie erschütternd: Im Unterschied zu Europa, Asien und Afrika hatte die Eiszeit in Amerika die domestizierbaren Großtiere weitgehend ausgerottet. Zum Zeitpunkt der europäischen Invasion gab es auf dem amerikanischen Kontinent nur fünf domestizierte Tierarten. Nur fünf! Diese Zahl überrascht. (Wer den Haustierbestand seines Freundeskreises überschlägt, kommt schnell auf weit mehr als fünf Tierarten.)
    Von diesen fünf domestizierten amerikanischen Arten war nur das Lama ein größeres Säugetier. Ganz anders in Europa. Hunde, Katzen, Schweine, Pferde, Hühner, Kühe und viele weitere Tiere wurden seit Langem in unmittelbarer Nähe des Haushalts gehalten. Mensch und (Nutz-)Tier waren in stetem Kontakt, sie berührten einander, tauschten Mikroben aus. Tierische Krankheitserreger mutierten, wurden zu Krankheitserregern, die sich bald auch im menschlichen Körper wohlfühlten. Menschen ohne entsprechendes Immunsystem starben. Nach und nach passte sich das Genom der Europäer an; sie wurden seltener krank. Einige Jahrtausende später sollte dieser Umstand den Tod für unzählige Azteken bedeuten.
    Im evolutionären Zeitrahmen war nur wenig Zeit vergangen, seit die europäischen und amerikanischen Menschen sich das letzte Mal gesehen haben, doch die Europäer hatten sich eine Umwelt erschaffen, in der sie gezwungen waren, innerhalb kürzester Zeit Abwehrmechanismen gegen neue Keime zu entwickeln. Und als sie dies geschafft hatten, blieben die Keime in ihnen. Weitgehend ungefährlich für sie, tödlich für jene, die seit Tausenden Jahren keinen Kontakt mehr zu ihren europäischen Geschwistern hatten.
    Unsere uralte Tradition der Tierzucht ist daher der eigentliche Grundstein des amerikanischen Imperiums der Europäer. Aber um welchen Preis! …
    Dengler klappt das Heft zu.
    Was sind das für Kinder? Womit beschäftigen sie sich? Sein Sohn mit Schweinezucht und Laura mit Philosophie. Warum nicht mit Mode und Fußball?
    Die eigentliche Frage aber ist eine ganz andere: Warum kenne ich mein Kind so wenig?
    Das Handy reißt ihn aus seinen Überlegungen. Er sieht auf das Display: Hildegard.
    »Jakob hat sich gemeldet.«
    »Tatsächlich? Wie, wann? Ich meine, warum hast du mich nicht gleich angerufen? Geht es ihm gut? Wo ist er?«
    »Er hat sich über dich beschwert.«
    »Über mich?«
    »Ja, du würdest bei den Familien seiner Freunde rumschnüffeln. Und die Eltern machen jetzt seine Freunde verrückt. Georg?«
    »Hast du mit ihm gesprochen?«
    »Wir liegen falsch. Es tut mir leid, dass ich dich verrückt gemacht habe.«
    »Hast du mit Jakob gesprochen?«
    »Nein, er hat mir zwei Fotos aus Barcelona geschickt.«
    »Schick sie an mich weiter. Gleich. Sofort.«
    »Sie waren für mich. Nicht für dich.«
    »Hildegard, ich muss wissen, was mit Jakob los ist. Das ist doch nicht seine Art, dass er sich bei dir über mich beschwert. Was soll das?«
    »Okay, ich schicke sie dir.«
    Eine Minute später erreicht ihn die Nachricht von Jakob. Sie lautet:
    Mama, müsst ihr uns so nerven? Papa macht die Eltern von Laura und Simon verrückt. Ich bin sauer. Warum gönnt ihr mir nicht einfach mal ein paar Tage Urlaub? Ich schicke dir mal zwei Fotos. Das Erste ist die Rambla, die schöne Hauptstraße von Barcelona, und das andere bin ich. Wir fanden gestern einen schönen Platz mit Blick über die Stadt. Lass mich jetzt einfach noch zwei, drei Tage in Ruhe. Dann bin ich wieder bei dir. Bis bald, Jakob
    Dengler betrachtet die Bilder. Eines zeigt die Rambla bei Nacht. Er überprüft den Timestamp: aufgenommen gestern Abend 20.56 Uhr. Etwas später aufgenommen worden war das Foto von

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