Am zwölften Tag: Denglers siebter Fall (German Edition)
He, bleib liegen.«
Dengler stützt sich ab und wuchtet den Oberkörper hoch. Sofort springen ihn hämmernde Kopfschmerzen an. Er hält inne.
»Jakob«, sagt er.
Hauptkommissarin Ginter nimmt ihn am Arm. »Kommen Sie, wir bringen Sie zu Ihrem Sohn.«
Dengler läuft, gestützt auf Olga und die unbekannte Frau, durch den Flur des Klinikums. Drei Zimmer weiter klopft die Beamtin an die Tür, und sie hören ein mehrstimmiges »Herein«. Als sie eintreten, sieht er Jakob und Laura auf einem Bett sitzen, in dem ein breit grinsender Junge liegt. Das kann nur Cem sein.
»Ich wusste es. Du holst uns da raus!«
Jakob liegt in seinem Arm. Dengler atmet aus. Sein Sohn fühlt sich gut an, dünn – er kann mit der Hand seine Rippen nachfahren –, aber warm und lebendig.
»Unglaublich, wie Sie plötzlich mit dem Auto in unserem Gefängnis standen«, sagt Laura.
»Endlich hatten wir frische Luft«, sagt Cem.
»Wo ist denn der Vierte in eurem Bunde?«
»Simon liegt privat.« Dengler kommt Lauras Bemerkung etwas spitz vor.
»Wo ist Kimi geblieben?«, fragt Cem. »Wissen Sie, wo der Kimi ist, Herr Dengler?«
»Kimi?«
Jakob sagt: »Setz dich zu uns. Wir müssen dir von Kimi erzählen.«
118. Flur im Klinikum Oldenburg, vormittags
Hier müsste es doch irgendwo sein. Die Flure und die Zimmer sehen alle irgendwie gleich aus. Er klopft an eine Tür, geht hinein, aber Adrian liegt hier nicht. Er wandert weiter, geht von Zimmer zu Zimmer, ist immer verwirrter. Er muss doch hier in einem dieser Zimmer gelegen haben.
»Wen suchen sie?«, fragt eine Schwester.
»Adrian. Adrian Radu.«
»Den rumänischen Fleischarbeiter? Den mit der Kopfwunde?«
Kimi nickt. »Ja, genau den.«
Das Gesicht der Schwester überzieht ein Schatten. »Sind Sie ein Freund?«
Kimi nickt. Er kann in dem Gesicht der Schwester lesen. »Kommen Sie mit mir«, sagt die Frau. »Ich bringe Sie zu unserem Seelsorger.«
Kimi schüttelt den Kopf. Keinen Seelsorger.
Er hat nichts mehr. Keinen Freund. Kein Geld. Keinen Pass. Nicht einmal mehr Kleider. Die Sachen, die Jurgis und die Frau ihm gegeben haben, sind weggeschmissen worden, weil sie halb verbrannt waren. Nicht einmal mehr Kleider sind ihm geblieben.
Aber er weiß, wer schuld ist. Cem hat es ihm erklärt. Cem hat ihm alles erklärt. Die großen Dinge. Das Netz. Die Spinne, die im Zentrum sitzt.
Der kleine Holzklotz bringt den Wagen zum Stürzen. Hat das nicht immer seine Mutter gesagt? Er ist der Holzklotz. Das weiß er jetzt ganz genau. Er ist es. Er, der er ein Nichts war. Jetzt ist er zum Holzklotz geworden. Zum gefährlichen Holzklotz.
Kimi dankt der Schwester. »Nein, keinen Seelsorger«, sagt er.
»Aber sie weinen doch.«
»Ich habe wirklich Grund dazu.«
»Kommen Sie, ich bringe Sie auf Ihr Zimmer.«
Sie nimmt ihn resolut am Arm und führt ihn wieder durch die Gänge und Flure. Vor irgendeiner Tür halten sie, und die Schwester öffnet sie. »Legen Sie sich wieder hin. Ich werde dafür sorgen, dass Sie ein Beruhigungsmittel bekommen.«
Er steigt in das Bett, und sie zieht die Decke gerade.
»Wir wissen, was Sie alle in der Nacht durchmachen mussten. Scheußlich.«
»Ich bin der Holzklotz.«
»Ich bringe Ihnen ein Beruhigungsmittel.«
Als die Frau die Tür hinter sich geschlossen hat, steht er wieder auf. Er geht in den Flur und sieht sich um. Dann huscht er zum Aufzug und fährt ins Erdgeschoss. Er kennt den Weg hinaus. Nur die Straßen muss er meiden. Er hat ja nur einen Schlafanzug an und die Klinik-Latschen. Die Leute würden sich wundern.
Er ist der Holzklotz. Er sucht den Wagen.
119. Klinikum Oldenburg, vormittags
»Also, uns interessiert: Wie hast du deinen Sohn und seine Freunde gefunden? Ich habe dir den Standort von Marcus Steiner nicht genannt.«
»Ich war Polizist, Christof. Ich kann ermitteln.«
»Ja, aber wir haben einen Streifenwagen hingeschickt. Die Kollegen haben die Jungs nicht gefunden. Und der Bauer hat den beiden Streifenpolizisten erzählt, die Rocker seien nur kurz auf dem Hof gewesen. Sie hätten nur nach dem Weg gefragt. Wir nahmen daher an, dass der Standort des Telefonats von Steiner mit seiner Freundin in Barcelona Zufall war. Außerdem haben die Kollegen die Jugendlichen auf dem Hof nicht gefunden.«
»Sie haben vermutlich nicht gesucht. Ich wusste, dass Steiner mehrmals von diesem Standort aus telefoniert hat. Mehrmals. Daher konnte diese Auskunft nicht stimmen. Mehr hatte ich auch nicht in der Hand.«
»Und woher wusstest du von dem
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