Amanda Jaffe 01 - Die Hand des Dr Cardoni
Justine im OP ist, und man müsste Zugang zu dem Raum haben, wo Justine Haube und Kittel ablegt.«
»Das heißt, dass Justine im St. Francis einen Feind hat«, sagte Amanda. »Kennst du irgendjemand, der sie so hasst, dass er so etwas tun würde?«
Tony überlegte kurz und schüttelte dann den Kopf.
»Der Einzige, der mir einfällt... Nein, das ist unmöglich.«
»Du denkst an Vincent Cardoni.«
»Ja, aber der ist tot.«
»Das wissen wir nicht sicher«, sagte Amanda. »Seine Leiche wurde nie gefunden.«
»Du glaubst, dass Cardoni im St. Francis arbeitet?«
»Ich halte es immerhin für möglich. Er hätte sich einer Gesichtsoperation unterziehen müssen und er könnte nicht als Arzt arbeiten. Ihm fehlt eine Hand.«
»Genau genommen ...«, sagte Tony, verstummte dann aber gedankenverloren.
»Was?«
Tony hob den Kopf und beugte sich vor.
»Eine Handtransplantation«, sagte er aufgeregt. »Es ist möglich, eine Hand zu transplantieren. Zum ersten Mal wurde es 1964 in Ecuador versucht. Die Operation schlug fehl, weil das fremde Gewebe abgestoßen wurde, aber inzwischen gibt es Immunsuppressiva, die eine Abstoßung verhindern, und verfeinerte Operationstechniken, die zu mehreren erfolgreichen Handtransplantationen geführt haben.«
»Stimmt«, erwiderte Amanda, die sich von Tonys Erregung anstecken ließ, »ich erinnere mich, schon mal was darüber gelesen zu haben.« Doch plötzlich wurde sie wieder sachlich. »Eine solche Transplantation wäre so spektakulär gewesen, dass die ganze Welt davon erfahren hätte. Die, an die ich mich erinnere, schaffte es auf die Titelseiten der Zeitungen.«
»Nicht, wenn sie heimlich durchgeführt wurde. Glaubte Justine denn nicht, dass Cardoni auf irgendwelchen Auslandskonten Geld gebunkert hatte?«
»Ja.«
»Mit genug Geld hätte Cardoni einen Arzt finden können, der sein Aussehen verändert und eine Handtransplantation versucht. Außerdem muss er ja gar nicht als Arzt arbeiten. Vielleicht hat er eine Prothese und arbeitet in einer anderen Funktion.« Tony überlegte einen Augenblick. »Weißt du, wann das Farmhaus gekauft wurde?«
»Ich glaube, vor ungefähr zwei Jahren.«
Tony beugte sich vor und sah sie eindringlich an.
»Da haben wir's doch! Ich bringe jemanden von der Personalabteilung dazu, dass er mir einen Ausdruck aller männlichen Angestellten besorgt, die in den letzten zwei Jahren eingestellt wurden. Cardoni könnte sein Aussehen und sein Gewicht verändert haben. Ich suche nach weißen, etwa einsfunfundachtzig großen Männern ungefähr in seinem Alter.« Tony legte seine Hand auf Amandas Arm.
»Wenn Cardoni am St. Francis ist, dann spüren wir ihn auf. Wir fangen ihn, Amanda.«
Der Kellner kam mit dem Wein und dem ersten Gang, und Amanda ergriff die Gelegenheit, sich zu beruhigen. Schweigend aß sie ihren Salat und überlegte dabei, ob es richtig wäre, Tony in Justines Fall hineinzuziehen.
»Vielleicht sollte ich diese Unterlagen von unserem Ermittler besorgen lassen.«
»Warum?«
»Wenn Cardoni unser Mörder ist, dann bringst du dich in Gefahr, indem du nach ihm suchst.«
»Dein Ermittler hat bestimmt nicht das Fachwissen, um eine wirklich gute Gesichtsoperation erkennen zu können. Ich würde sie sofort erkennen. Und glaub mir, ich gehe bestimmt kein Risiko ein. Wenn ich Cardoni finde, gehen wir sofort zur Polizei.«
Amanda zögerte.
»Amanda, ich mag Justine. Ich will nicht, dass eine Unschuldige leidet. Aber mich selbst mag ich auch, und ich bin noch zu jung zum Sterben. Ich bringe mich bestimmt nicht in Gefahr.«
»Versprochen?«
»Versprochen«, sagte Tony. »Weißt du was?«
»Was?«
»Ich glaube, wir sollten beim Essen aufhören, über die Arbeit zu reden.«
Amanda lächelte. »Einverstanden. Über was reden wir dann?«
»Mir ist da eben etwas eingefallen. Hast du den neuen Jackie-Chan-Film schon gesehen?«
»Ich war seit Jahren nicht mehr im Kino.«
»Er läuft um halb elf im Broadway Metroplex . Hast du Lust auf ein bisschen hirnlose Gewalt?«
»Darauf kannst du Gift nehmen.«
Tony lächelte. »Du bist eben ein Mädchen ganz nach meinem Geschmack.“
44
Als Bobby Vasquez wegen eines Termins angerufen hatte, war Mary Ann Jager selbst ans Telefon gegangen. Jetzt wusste er auch, wieso: Das winzige Vorzimmer der Anwältin roch nach Erfolglosigkeit. Es gab keine Sekretärin, und die Empfangstheke war leer und mit einer feinen Staubschicht bedeckt. Vasquez klopfte an den Rahmen eines offenen Durchgangs. Eine schlanke Frau mit
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