Amarilis (German Edition)
Steffs Haus. Der
Fahrpreisanzeiger klickte auf Kasse. Eine rote Digitalschrift auf gelbem
Hintergrund. Nett sah das aus. Wenn der Preis nicht so hoch wäre.
»Ja, das liegt jetzt am Berufsverkehr. Es gab ne Menge Staus,
wenn Se das bemerkt haben. Und das Taxameter läuft nun mal über die Zeit.« Der
Fahrer war sichtlich verstimmt, und Steff gab ihm zwei Units mehr, damit er
sich wieder beruhigte.
Er ging über das Dach zum Hauseingang. Langsam wurde es
dunkel, und die Sonne strich seitlich über die Häuserwände. Von den Fenstern
irrten noch kleine Lichtreflexe über die Fassaden, die in der letzten Wärme des
Abendrots mattgelb erstrahlten.
Mit dem Fahrstuhl gelangte er in den 6. Stock. Vor ihm
leuchtete die Sichttafel auf. Er hatte das Anhalten gar nicht bemerkt, als auch
schon die Tür geräuschlos auseinander glitt. Vor ihm erschloss sich der Vorraum
mit einem kleinen Café, dessen Scheibe einen langen Riss aufwies, der nur notdürftig
mit grünem Isolierband verklebt worden war. Daneben hing ein Poster mit einer
Abbildung des Bürgermeisters von Berlin, wie er als Marionette, deren Fäden ein
Santoganer in seiner sechsfingrigen Hand hielt, Menschen in Zementtürme
pferchte.
'Das ist nicht ganz im richtigen Zusammenhang gesehen',
dachte Steff, 'denn Wohnungsgettos gab es schon vor 100 Jahren. Und die Außerirdischen
sind ganz sicherlich an allem eher interessiert als an der menschlichen
Unterbringung.
Er ging durch den langen Korridor und schloss seine Tür auf.
Der Schlüssel bestand aus einem Zinkmagneten, dessen eines Polende eine binäre
Ziffer besaß, die mit der des in der Tür eingebauten Schlosses übereinstimmte.
In seiner Wohnung war es schon dämmrig geworden. Mit der
Handfläche wischte er über die Lichtsensoren, und die sich am Deckenrand
befindliche, die Wand anstrahlende Beleuchtung flackerte auf. Ihr milder,
mattgelber Ton erwärmte gleichermaßen die Kühle des Zimmers. Erschöpft ließ
sich Steff in die Ledercouch fallen und riss die Beine hoch. Der niedrige Glastisch
diente sowieso nur noch als Fußablage. Aber so fand er endlich Ruhe. Die
Erinnerung setzte sich.
Angelegentlich spielte er mit der Telebedienung des
Fernsehers. Der zwei mal drei Meter messende Bildschirm aus Flüssigkeitskristallen
war nur fünf Zentimeter tief und nahm so trotz seiner Größe wenig Raum ein. Als
das dreidimensionale Farbbild einsetzte, hörte er gleichzeitig ein leichtes
Knacken in einer der vier Quadroboxen. Er schaute zu der Zimmerdecke, aber der
Lautsprecher arbeitete einwandfrei.
Steff konzentrierte sich wieder auf den Fernseher. Der
Nachrichtensprecher teilte gerade mit, dass auf dem Raumflughafen Gatow ein
Schiff der Santoganer gelandet war. Es hatte vor allem Tonnen von Öl geladen,
das in riesigen Containern verfrachtet war. Weiter führte es noch Rohstoffe wie
Kupfer, Kohle und zusätzlich verschiedene Kristalloide, die es auf Santoga
zuhauf gab. Steff dachte an die sich ständig erweiternden Beziehungen zu den
Außerirdischen. Der Im- und Export war dabei nur einer der wirtschaftlichen
Vorteile, die den Menschen zugutekamen. Neben einem allerdings begrenzten
Technologietransfer konnten viele Produkte auf diesem Planeten durch die
dortigen Maschinen nicht nur billiger, sondern überhaupt erst hergestellt
werden, da die etwas andersartige Atmosphäre und Gravitation bestimmte Industriemethoden,
wie zum Beispiel eine absolut präzise Teleskopschleifung, besser ermöglichten.
Die vorliegende Reportage brachte Steff wieder seine
gegenwärtigen Aufgaben ins Bewusstsein. Neben dem geologischen Auffinden und Einordnen
der damaligen Positronengebiete der Erde bestand sein Fahrzweck schließlich
auch in der Auswertung der zwar nur optischen, aber durch die subtile
Technologie der Außerirdischen trotzdem extrem aussagekräftigen Eindrücke und
Bilddokumente. Unter anderem sollte er mit noch sechs anderen Kollegen
versuchen, die Millionenjahre dauernde Entwicklung der Erde aufzuzeigen und
bildhaft zu belegen.
Weiterhin konnte man bei der thermischen Konvexionsströmung
im Erdinnern davon ausgehen, dass die schweren kontinentalen Landmassen mit einer
durchschnittlichen Geschwindigkeit von ca. 2 cm/Jahr sicherlich wie auch die
kleinerer Platten des pazifischen Raums mit 13 cm/Jahr innerhalb der
Jahrmillionen ein aufschlussreiches Bild boten und somit über den damaligen
Aufenthaltsort der bi-3-Pflanzen Auskunft geben konnten. Außerdem erhoffte
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