Amarilis (German Edition)
konnten nicht einschätzen, wie wichtig diese Information
für Sie ist, aber wir hoffen, dass sie Ihnen ebenso nützlich werden wird, wie
wir sie für uns vermuten. Ich danke Ihnen für ihre Aufmerksamkeit.« Shan-Ucci
hielt inne. Er hatte sich nicht auf die Reaktion seiner Eröffnung eingestellt,
da ihm die menschliche Natur immer noch zu fremd war, um sie genau genug
voraussehen zu können. Aber trotz der Verschiedenartigkeit der Rassen entging
ihm doch keiner der Laute und Geräusche, die sich aufgrund seiner letzten
Äußerungen innerhalb des nun entstehenden Tumults erhoben und im Durcheinander
von Schreien und Zurufen auf ihn einstürzten.
Dabei gelang es ihm jedoch, jeden einzelnen Ausruf, jede
Anfrage und jedes Gespräch getrennt wahrzunehmen und zu verarbeiten. Sein
Gehirn vermochte verschiedenen Gedanken gleichzeitig zuzuhören und sie zu koordinieren.
Der Umstand seines Verstehens der menschlichen Laute beruhte zunächst aber auf
einer technischen Perfektion, die die Santoganer der Erde mitgebracht hatten.
Sie bestand aus einem kleinen Gerät in Taschenformatgröße,
das an den Zentralcomputer im Haus der Raumfahrt angeschlossen war. Die Kommunikation
zwischen Mensch und Santoganer wurde sodann durch eine digitale
Geräuschumsetzung über tragbare Anschlußmodule mittels eines kleinen Ohrhörers
ermöglicht. In der Zentrale war es sogar üblich, ein Schriftbild visuell auf
den Monitor zu projezieren. In den kleinen Privattranslatoren fand lediglich
Sprachexplikation statt.
Zwischenträger war ein mathematischer Codex, so dass zum
Beispiel einem der häufigsten Ausrufe, die Shan-Ucci nun zu hören bekam: »Ist
das möglich!« mittels der Wurzel aus 1456e782 x 7,4, 46 x 12,5 und der binären
Primzahl der 52. Ordnung in Bezug auf die beiden unterschiedlichen Kulturebenen
ein gemeinsamer Nenner gesetzt wurde, der gleichzeitig zu jedem Wort noch das
Verhältnis von Betonung, Sinnzusammenhang, Mehrdeutigkeit, Position des Wortes
innerhalb des Satzes und Art der Aussprache (zögernd, hastig) berechnete. Weitere
emotionelle Belange waren bis Dato nicht berücksichtigt, da die Menschen in
dieser Angelegenheit noch zu wenig über sich selbst sagen konnten.
Daraufhin erst erfolgte die eigentliche Übersetzung in die
wesentlich differenziertere und multikomplexere Zeichensymbolik der Außerirdischen.
Jedes Wort, jeder Begriff, Laut oder Zahl bestand bei ihnen als ein selbständiges,
völlig unabhängiges Zeichen von Linien, Schattierungen, Kreisen, Spiralen und
Mehrecken, die zusammengefügt in einer dreidimensionalen Stellung
vorherrschten. Das auch ihnen bekannte Wort Raumschiff zum Beispiel war ein
dichter Nebel aus Spiralen, die sich nicht berührten, aber durchdrangen, und in
ihrer räumlichen Kreuzung eine diffuse Anhäufung von Punkten bildeten, die sich
parallel zueinander, den Enden hin verjüngend, wiederholte. Oder: der Begriff
zuhause wurde analog ihrem Herdverständnis mit der Symbolik einer
rauchverhangenen Feuerstelle chiffriert (Nebel auf zwei Flammenzacken).
Ihnen unbekannte Begriffe, die sie von den Menschen
übernehmen mussten, bauten sie allerdings auf deren Buchstaben auf, denen sie
etwa dreißig neugeschaffene Symbole zugrunde legten, um damit ein entsprechendes
Wort in ihrer eigenen Sprache zu formen. Zum Beispiel kannten sie keinen
Begriff für die menschliche Ansprache des du oder Sie, denn als Nichtindividualisten
wurde der Anzusprechende stets in die eigene Situation mit einbezogen. Hier übersetzte
der Computer mit einem Bild aus zwei beziehungsweise drei Schrägschraffuren mit
verschiedener Winkelkreuzung. Diese Methode schien ihnen geeigneter, als jedem
ihnen unbekannten Wort ein neues Liniensymbol zu geben, da diese für sie schon
Bedeutungstträger waren und nur ihnen bekannte Eigenschaften abdeckten, für
ihre Welt charakteristisch und in Jahrtausende langer Evolution entstanden waren.
Umgekehrt waren ihre den Menschen neuartige Begriffe ebenso
nicht direkt übersetzbar. Doch der Computer baute mittels des binären Zahlennetzes
eine für alle bekannte Situation, deren Bedeutungsträger sich innerhalb eigener
Vorstellungseigenarten einordnen konnten. Zum Beispiel gab es eine Situation
bei den Santoganern, während der sie die Winkel ihrer Ionengitter leicht
veränderten, so dass sich die Anionen näher kamen und durch die daraufhin
erfolgende statische Abstoßung in Bewegung gerieten. Dabei wurde eine blaue
Färbung innerhalb ihrer Leiber erzeugt, und
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