Amber-Zyklus 06 - Die Trümpfe des jungsten Gerichts
Dröhnen, der Kraft der Stille nahekommend...
Schließlich betraten wir einen Tunnel, anfangs feucht, doch im Laufe seines Ansteigens trockener werdend. Wir folgten ihm bis zu einer Galerie, die sich zu unserer Linken auftat und in die Nacht hinaus öffnete, mit ihren Sternen, Sternen, Sternen... Es war eine gewaltige Aussicht, explodierend vor neuen Konstellationen, deren Licht ausreichte, um unsere Schatten an die Wand hinter uns zu werfen. Sie beugte sich über die niedrige Brüstung, ihre Haut glich einem seltenen polierten Marmor, und sie blickte hinunter.
»Dort unten sind auch welche«, sagte sie. »Auf beiden Seiten. Dort unten ist nichts außer noch mehr Sternen. Und seitlich...«
»Ja. Hübsch, findest du nicht?«
Wir verweilten lange Zeit an dieser Stelle, in Betrachtung versunken, bevor ich sie überreden konnte, sich davon zu trennen und tiefer in den Tunnel hineinzugehen. Er führte uns wieder hinaus, zum Anblick der Ruine eines klassischen Amphitheaters unter einem spätnachmittäglichen Himmel. Efeu überwucherte zerbrochene Bänke und gerissene Säulen. Da und dort lag eine zerschmetterte Statue, wie bei einem Erdbeben eingestürzt. Sehr malerisch. Ich hatte vermutet, daß es ihr gefallen würde, und ich hatte recht gehabt. Nachdem wir uns nach allen Seiten umgesehen hatten, setzten wir uns und sprachen miteinander. Die Akustik war ausgezeichnet.
Dann gingen wir weiter, Hand in Hand, über unzählige Pfade unter einem vielfarbigen Himmel, und kamen schließlich zu einem stillen See, an dessen gegenüberliegendem Ufer eine Sonne den Abend einleitete. Zu meiner Rechten lag ein glitzerndes Felsmassiv. Wir gingen auf eine schmale Landzunge hinaus, die mit Moos und Farn gepolstert war.
Ich legte die Arme um sie, und wir standen lange Zeit so da; der Wind in den Bäumen sang ein Lautenlied, kontrapunktiert von unsichtbaren Vögeln. Noch später knöpfte ich ihre Bluse auf.
»Hier?« fragte sie.
»Mir gefällt es hier. Dir nicht?«
»Es ist wunderschön. Wart einen Augenblick.«
Also legten wir uns nieder und liebten uns, bis die Schatten uns zudeckten. Nach einer Weile schlief sie ein, wie ich es mir gewünscht hatte.
Ich belegte sie mit einem Zauberbann, damit sie weiterschlief, denn allmählich kamen mir Zweifel, ob es weise gewesen war, diese Reise zu unternehmen. Dann kleidete ich uns beide an und hob sie auf, um sie zurückzutragen. Ich nahm eine Abkürzung.
An dem Strand, von dem wir aufgebrochen waren, legte ich sie zu Boden und streckte mich neben ihr aus. Bald schlief ich ebenfalls.
Wir wachten erst auf, als die Sonne bereits hoch am Himmel stand, aufgeschreckt durch die Geräusche von Badenden.
Sie richtete sich auf und starrte mich an.
»Die letzte Nacht«, sagte sie, »kann kein Traum gewesen sein. Aber sie kann auch nicht Wirklichkeit gewesen sein. Oder?«
»Stimmt«, sagte ich.
Sie runzelte die Stirn.
»Was bedeutete diese Bestätigung?« fragte sie.
»Daß ein Frühstück nicht schlecht wäre«, sagte ich. »Laß uns eines auftreiben. Komm!«
»Wart einen Augenblick!« Sie legte mir eine Hand auf den Arm. »Etwas Ungewöhnliches ist geschehen. Was war das?«
»Warum sollten wir den Zauber zerstören, indem wir darüber reden? Laß uns etwas essen.«
Während der folgenden Tage fragte sie mich alles mögliche, aber ich war unnachgiebig in meiner Weigerung, darüber zu sprechen. Dumm, das Ganze war dumm von mir gewesen. Ich hätte diesen Ausflug niemals mit ihr unternehmen sollen. Er trug zu dem endgültigen Streit bei, der uns für immer trennte.
Und jetzt, während des Fahrens, erkannte ich noch etwas anderes als meine eigene Dummheit. Ich erkannte, daß ich sie geliebt hatte, daß ich sie immer noch liebte. Wenn ich diesen Ausflug nicht mir ihr unternommen oder wenn ich ihre späteren Mutmaßungen, ich sei ein Zauberer, anerkannt hätte, dann hätte sie nicht jenen Weg eingeschlagen, den sie wählte, auf der Suche nach ihrer eigenen Macht... wahrscheinlich zum Selbstschutz. Dann würde sie noch leben.
Ich biß mir auf die Lippe und stieß einen Schrei aus. Ich wich dem bremsenden Wagen vor mir aus und krachte gegen eine Ampel. Wenn ich das, was ich liebte, getötet hatte, dann war ich mir sicher, daß das Gegenteil nicht wahr werden würde.
-3-
Kummer und Wut lassen meine Welt schrumpfen, und ich wehre mich dagegen. Sie lähmen meine Erinnerung an glücklichere Zeiten, an Freunde, Orte, Dinge, Möglichkeiten. Umklammert vom Griff eines intensiven, beunruhigenden
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