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Amber-Zyklus 06 - Die Trümpfe des jungsten Gerichts

Titel: Amber-Zyklus 06 - Die Trümpfe des jungsten Gerichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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kleines Messingschild mit der Inschrift >Melman<. Ich klopfte.
    Keine Antwort. Ich versuchte es noch ein paarmal, mit dem gleichen Ergebnis. Auch hier drang aus dem Innern kein Laut heraus. Wahrscheinlich befanden sich hier seine Wohnräume, und im vierten Stock, möglicherweise mit Lichteinfall von oben, war vermutlich sein Atelier untergebracht. Also wandte ich mich von der Tür ab und stieg die letzten Stufen hinauf.
    Ich kam oben an und sah, daß eine der vier Türen leicht angelehnt war. Ich hielt inne und lauschte. Von innen waren schwache Geräusche von Bewegung zu vernehmen. Ich trat vor und klopfte einige Male. Ich hörte, wie im Innern plötzlich jemand tief Luft holte. Ich schob die Tür auf.
    Er stand etwa sechs Meter von mir entfernt unter einem großen Oberlichtfenster, mit dem Gesicht zu mir - ein breitschultriger großer Mann mit einem dunklen Bart und dunklen Augen. Er hielt einen Pinsel in der linken und eine Palette in der rechten Hand. Er trug eine mit Farbe verschmierte Schürze über seinen Levi's-Jeans und ein kariertes Sporthemd. Auf der Staffelei hinter ihm waren die Umrisse einer Figur zu sehen, die eine Madonna mit Kind hätte darstellen können. Außerdem standen noch viele Leinwände herum, sämtliche zur Wand hin umgedreht oder zugedeckt.
    »Hallo«, sagte ich. »Sind Sie Victor Melman?«
    Er nickte, weder lächelnd noch stirnrunzelnd, legte die Palette auf einem Tisch in seiner Nähe ab und stellte den Pinsel in ein Glas mit Lösungsmittel. Dann nahm er ein feucht aussehendes Tuch und wischte sich die Hände damit ab.
    »Und wer sind Sie?« fragte er, wobei er das Tuch beiseite warf und mir wieder das Gesicht zuwandte.
    »Merle Corey. Sie kannten Julia Barnes.«
    »Das streite ich nicht ab«, sagte er. »Daß Sie die Vergangenheitsform gewählt haben, scheint anzudeuten...«
    »Stimmt, sie ist tot. Ich möchte mit Ihnen darüber sprechen.«
    »Gut«, sagte er und löste die Bänder seiner Schürze. »Lassen Sie uns hinuntergehen. Hier oben ist kein Platz zum Sitzen.«
    Er hängte die Schürze an einen Nagel neben der Tür und trat hinaus. Ich folgte ihm. Er drehte sich um und schloß das Atelier ab, bevor er die Treppe hinabschritt.
    Seine Bewegungen waren geschmeidig, beinahe elegant. Ich hörte den Regen, der auf das Dach tropfte.
    Er benutzte denselben Schlüssel wie zuvor, um die dunkle Tür im dritten Stock aufzuschließen. Er stieß die Tür schwungvoll auf und trat zur Seite, wobei er mich mit einer Handbewegung zum Eintreten aufforderte. Ich folgte der Einladung und durchquerte einen Flur, der an einer Küche vorbeiführte, deren Ablagen mit leeren Flaschen, Stapeln von Geschirr und Pizzakartons bedeckt waren. Prallvolle Müllbeutel waren gegen Schränke gelehnt; der Boden wirkte stellenweise klebrig, und der ganze Raum roch wie eine Gewürzfabrik neben einem Schlachthaus.
    Das Wohnzimmer, das sich daran anschloß, war geräumig, mit zwei gemütlich aussehenden schwarzen Sofas, die sich über ein Schlachtfeld von Orientteppichen und verschiedenen Tischen mit jeweils einigen übervollen Aschenbechern hinweg gegenüberstanden. In der Ecke stand ein Konzertflügel vor einer Wand, die von schweren roten Vorhängen verdeckt war. Es gab zahlreiche niedrige Bücherregale, gefüllt mit okkultistischen Werken, und Zeitschriften stapelten sich neben, auf und zwischen einigen Sesseln. Ein kleines Stück von etwas, das die Ecke eines Pentagramms hätte sein können, ragte unter dem größten Teppich hervor. Der abgestandene Geruch von Räucherstäbchen und Pot hing in den Textilien. Rechts von mir war ein Bogendurchgang, der in ein zweites Zimmer führte, und links war eine geschlossene Tür. Gemälde mit halbreligiösen Motiven - vermutlich seine Werke - waren an einigen der Wände aufgehängt. Sie erinnerten an den Stil von Chagall. Nicht schlecht, mußte ich insgeheim zugeben.
    »Nehmen Sie Platz.«
    Er deutete auf einen Sessel, und ich setzte mich.
    »Haben Sie Lust auf ein Bier?«
    »Danke, nein.«
    Er setzte sich auf das näher stehende Sofa, schlug die Hände zusammen und musterte mich.
    »Was ist passiert?« fragte er.
    Ich musterte ihn meinerseits.
    »Julia Barnes hatte angefangen, sich für Okkultismus zu interessieren«, sagte ich. »Sie kam zu Ihnen, um mehr darüber zu erfahren. Sie kam heute morgen unter sehr ungewöhnlichen Umständen ums Leben.«
    Sein linker Mundwinkel zuckte leicht. Ansonsten bewegte er sich nicht.
    »Ja, sie interessierte sich für solche Dinge«, sagte

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