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Amber-Zyklus 06 - Die Trümpfe des jungsten Gerichts

Titel: Amber-Zyklus 06 - Die Trümpfe des jungsten Gerichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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Gefühls werde ich in meiner Verbissenheit immer kleiner. Ich vermute, das liegt zum Teil daran, daß ich eine Reihe von Alternativen ausgegrenzt und meinen freien Willen bis zu einem gewissen Grad eingeschränkt habe. Das gefällt mir nicht, aber ab einem bestimmten Punkt entzieht es sich meiner Beherrschung. Es gibt mir das Gefühl, daß ich mich einer Art Determinismus unterworfen habe, was mich erst recht stört. Dann - Teufelskreis - löst das wiederum jenes Gefühl aus, das mich so sehr umtreibt, und vertieft es noch. Der schlichte Weg, diese Situation zu beenden, wäre ein ungestümes Vorpreschen, um das verursachende Objekt zu beseitigen. Der schwierige Weg ist philosophischer, ein Rückzug, die Wiederherstellung der Beherrschung. Wie stets ist der schwierige Weg vorzuziehen. Ein ungestümes Vorpreschen könnte auch ein gebrochenes Genick zur Folge haben.
    Ich steuerte den Wagen in den ersten freien Parkplatz, den ich sah, öffnete das Fenster und zündete meine Pfeife an. Ich schwor mir, nicht eher weiterzufahren, bevor ich mich beruhigt hatte. Mein ganzes Leben lang neigte ich zu übertriebenen Reaktionen. Anscheinend lag das bei uns in der Familie. Aber ich wollte nicht wie die anderen sein. Sie brachten sich selbst damit in allerlei Schwierigkeiten. Die großangelegte Alles-oder-nichts-Reaktion ist vielleicht angebracht, wenn man immer gewinnt, doch dieser Weg birgt auch eine pathetische Dramatik - oder zumindest den Stoff für eine Oper -, wenn man es zufällig mit etwas Außergewöhnlichem zu tun hat. Und ich hatte Indizien dafür, daß das der Fall war. Deshalb war ich ein Narr. Ich redete mir das so lange ein, bis ich es glaubte.
    Dann hörte ich auf mein besonneneres Ich, das mir darin zustimmte, daß ich tatsächlich ein Narr war -weil ich meine eigenen Gefühle nicht erkannt hatte, als ich noch etwas dagegen hätte tun können, weil ich eine Macht an den Tag gelegt hatte und mich ihren Folgen verweigert hatte, weil ich während dieser ganzen Jahre die seltsame Eigenart meines Feindes nicht zumindest vermutet hatte, weil ich gegenwärtig die bevorstehende Begegnung herunterspielte. Es würde nicht genügen, Victor Melman zu packen, sobald ich ihn zu Gesicht bekäme, und die Wahrheit aus ihm herauszuprügeln. Ich beschloß, behutsam vorzugehen und stets in Deckung zu bleiben. Das Leben ist niemals einfach, ermahnte ich mich. Sitz still und sammle dich, formiere dich neu.
    Allmählich spürte ich, wie die Spannung von mir wich. Langsam wuchs meine Welt auch wieder, und ich sah darin die Möglichkeit, daß S mich wirklich kannte, gut kannte und vielleicht sogar die Ereignisse so inszeniert hatte, daß ich auf das Denken verzichten und mich dem Augenblick einfach hingeben würde. Nein, ich wollte nicht wie die anderen sein...
    Ich saß lange so da und dachte nach, bevor ich schließlich den Motor wieder anließ und langsam davonfuhr.
    Es war ein schmutziges Backsteingebäude an einer Ecke. Es war vier Stockwerke hoch, mit vereinzelten hingesprühten Sauereien auf der Straßenseite und an der Mauer zur schmaleren Gasse hin. Ich entdeckte die Graffiti, ein paar zerbrochene Fenster und die Feuertreppe, während ich gemächlich um das Grundstück herumspazierte und es betrachtete. Unterdessen setzte ein leichter Nieselregen ein. Die unteren beiden Etagen wurden von einer Firma BRUTUS - Großlager - eingenommen, wie auf einem Schild neben der Treppe in der kleinen Eingangshalle zu lesen war. Es roch nach Urin, und auf dem staubigen Fensterbrett zu meiner Rechten lag eine leere Jack Daniels-Flasche. Zwei Briefkästen waren an der abblätternden Wand angebracht. Auf dem einen stand >BRUTUS - Großlager<, der andere trug die Buchstaben >V. M.< Beide waren leer.
    Ich stieg die Treppe hinauf, in der Erwartung, daß sie knarren würde. Sie knarrte nicht.
    Im Flur des ersten Stocks gab es vier klinkenlose Türen, alle geschlossen. Die Umrisse von kartonähnlichen Gegenständen waren durch einige der beschlagenen Scheiben im oberen Bereich sichtbar. Aus dem Innern drangen keinerlei Geräusche heraus.
    Ich überraschte eine Katze, die auf dem nächsten Treppenabsatz schlief. Sie wölbte den Rücken zum Buckel, zeigte mir die Zähne, gab ein Zischen von sich und wandte sich dann ab, um in großen Sätzen die Stufen hinauf und aus meiner Sichtweite zu springen.
    Vom nächsten Flur gingen ebenfalls vier Türen ab -drei davon offensichtlich unbenutzt, die vierte dunkel gefleckt und glänzend lackiert. Sie trug ein

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