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Amber-Zyklus 06 - Die Trümpfe des jungsten Gerichts

Titel: Amber-Zyklus 06 - Die Trümpfe des jungsten Gerichts Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roger Zelazny
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er. »Sie kam zu mir, um sich Anweisungen zu holen, und ich gab sie ihr.«
    »Ich möchte wissen, warum sie gestorben ist.«
    Er betrachtete mich weiterhin eindringlich.
    »Ihre Zeit war abgelaufen«, sagte er. »So geht es uns allen, letzten Endes.«
    »Sie ist von einem Tier umgebracht worden, das es hier eigentlich gar nicht geben dürfte. Wissen Sie etwas darüber?«
    »Das Universum ist ein seltsamerer Ort, als die meisten von uns es sich vorstellen können.«
    »Wissen Sie etwas oder nicht?«
    »Ich weiß von Ihnen«, sagte er und lächelte zum erstenmal. »Sie hat mir natürlich von Ihnen erzählt.«
    »Was soll das heißen?«
    »Das heißt«, antwortete er, »ich weiß, daß Sie sich selbst ebenfalls mehr als nur ein bißchen dieser Dinge bewußt sind.«
    »Na und?«
    »Die Künste haben es an sich, die richtigen Menschen im passenden Augenblick zusammenzubringen, wenn irgend etwas im Gange ist.«
    »Und Sie glauben, darum geht es bei alledem?«
    »Ich weiß es.«
    »Wieso?«
    »Ich habe eine Verheißung erfahren.«
    »Dann haben Sie mich also erwartet?«
    »Ja.«
    »Interessant. Würden Sie mir vielleicht mehr darüber erzählen?«
    »Ich würde Ihnen lieber etwas zeigen.«
    »Sie sagen, etwas sei Ihnen verheißen worden. Wie? Durch wen?«
    »Das alles wird sich in Kürze aufklären.«
    »Und Julias Tod?«
    »Auch der, würde ich sagen.«
    »Und wie soll mir Ihrer Ansicht nach diese Erleuchtung widerfahren?«
    Er lächelte. »Ich möchte, daß Sie sich etwas ansehen«, sagte er.
    »Einverstanden. Ich bin willens. Zeigen Sie es mir.«
    Er nickte und stand auf.
    »Es ist da drin«, erklärte er, drehte sich um und trat zu der geschlossenen Tür.
    Ich erhob mich und folgte ihm durch den Raum.
    Er griff in den Ausschnitt seines Hemdes und zog eine Kette heraus. Er streifte sie über den Kopf, und ich sah, daß daran ein Schlüssel hing. Mit diesem schloß er die Tür auf.
    »Gehen Sie hinein!« sagte er, während er sie aufstieß und zur Seite trat.
    Ich betrat den Raum. Er war nicht groß, und es war dunkel darin. Er betätigte einen Schalter, und ein blaues Licht von geringer Wattstärke leuchtete in einer schmucklosen Halterung an der Decke auf. Da sah ich, daß es ein Fenster gab, direkt mir gegenüber, und daß alle Scheiben schwarz gestrichen waren. Es gab keine Möbel, nur ein paar Kissen, die überall am Boden verteilt waren. Ein Teil der Wand zu meiner Rechten war von einem schwarzen Vorhang verdeckt. Die andere Wand war kahl.
    »Ich schaue«, sagte ich.
    Er schmunzelte.
    »Einen Augenblick, einen Augenblick«, beschwichtigte er mich. »Haben Sie eine Ahnung, welchem Bereich der okkultistischen Künste mein Hauptinteresse gilt?«
    »Sie sind ein Kabbalist«, bemerkte ich.
    »Ja«, gab er zu. »Wie sind Sie darauf gekommen?«
    »Die Anhänger östlicher Lehren neigen gewöhnlich zu einer straffen Lebensweise«, stellte ich fest. »Während Kabbalisten anscheinend immer Schlamper sind.«
    Er blies hörbar Luft durch die Nase.
    »Die entscheidende Frage ist, was einem selbst wichtig ist«, erklärte er dann.
    »Genau.«
    Er stieß mit dem Fuß ein Kissen in die Mitte des Raums.
    »Nehmen Sie Platz!« sagte er.
    »Ich bleibe lieber stehen.«
    Er zuckte mit den Schultern.
    »Wie Sie wollen«, sagte er und begann, vor sich hinzumurmeln.
    Ich wartete. Nach einer Weile schritt er zu dem schwarzen Vorhang, immer noch leise sprechend. Er öffnete ihn mit einer schwungvollen Bewegung, und ich riß die Augen auf.
    Ein Gemälde des kabbalistischen Lebensbaumes war enthüllt worden, die Darstellung der zehn Sephira in einigen ihrer qlipphotischen Erscheinungsformen. Es war wunderschön ausgeführt, und das Gefühl des Erkennens, das mich bei seinem Anblick durchzuckte, war irgendwie aufwühlend. Es war keiner der üblichen Standardartikel aus einem Esoterikladen, sondern ein Originalgemälde. Es war jedoch nicht im gleichen Stil gemalt wie die übrigen Werke, die in dem anderen Raum hingen. Dennoch war es mir vertraut.
    Als ich es genau betrachtete, hatte ich keinerlei Zweifel daran, daß es von derselben Person geschaffen worden war, die die Trümpfe gemalt hatte, die ich in Julias Wohnung gefunden hatte.
    Melman setzte seine Inkantation fort, während ich mich in das Bild vertiefte.
    »Ist das eine Arbeit von Ihnen?« fragte ich.
    Er antwortete nicht. Statt dessen trat er vor und deutete mit ausgestrecktem Finger auf den dritten Sephirot, Binah genannt. Ich betrachtete ihn. Anscheinend zeigte er einen Zauberer vor

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