Amber-Zyklus 08 - Zeichen des Chaos: der Titel
die meisten Dinge sind, die ich lesen muß - Landwirtschaftsberichte, Handelsbilanzen, Bewilligungsgutachten. Mir fehlt jegliches gesellschaftliche Leben. Ich bin stets im Dienst. Jede Veranstaltung, die ich besuche, dient in irgendeiner Form den Staatsgeschäften. Ich habe Eure Akte immer wieder und wieder durchgelesen und mir Gedanken über Euch gemacht. Ihr seid... mein großer Schwarm. Ich weiß, daß sich das töricht anhört, aber es ist wahr. Als ich einige der letzten Berichte zu Gesicht bekam und erkannte, daß Ihr Euch womöglich in einer großen Gefahr befindet, beschloß ich, Euch zu helfen, wenn ich konnte. Ich habe Zugang zu allen möglichen Staatsgeheimnissen. Eines davon gibt mir die Mittel an die Hand, Euch zu helfen. Sein Einsatz würde Euch zum Nutzen gereichen, ohne Begma zu schaden, doch es wäre eine Verletzung meiner Loyalität, wenn ich noch mehr darüber verraten würde. Ich hatte immer schon den Wunsch, Euch kennenzulernen, und ich war schrecklich eifersüchtig auf meine Schwester, als Ihr heute mit ihr ausgegangen seid. Und ich würde mich immer noch sehr freuen, wenn Ihr später bei mir vorbeikämt.«
Ich starrte sie an. Dann hob ich mein Weinglas zu ihr hin und nahm einen Schluck.
»Ihr seid... erstaunlich«, brachte ich schließlich hervor. Etwas anderes fiel mir nicht ein. Es war entweder eine aus dem Stegreif erdachte Szene oder die Wahrheit. Wenn es stimmte, erschien es mir etwas übertrieben gefühlvoll; wenn nicht, hielt ich es für einen klugen Geistesblitz, der so berechnet war, daß er mich an jener wundervoll verletzbaren Stelle treffen mußte, dem Ego. Sie verdiente entweder mein Mitgefühl oder meine vorsichtige Bewunderung. Also fügte ich hinzu: »Ich würde gern die Person kennenlernen, die die Berichte geschrieben hat. Vielleicht verkümmert darin eine große schöpferische Begabung im Staatsdienst.«
Sie lächelte, hob ebenfalls ihr Glas und berührte damit meines.
»Laßt es Euch durch den Kopf gehen«, sagte sie.
»Ich kann mit aller Ehrlichkeit sagen, daß ich Euch nicht vergessen werde«, entgegnete ich.
Wir beide widmeten uns wieder unserem Essen, und ich verbrachte die nächsten fünf Minuten damit, das Versäumte nachzuholen. Bill war anständig genug, mir das zu gestatten. Außerdem wartete er wohl ab, bis er sicher sein konnte, daß meine Unterhaltung mit Nayda endgültig abgeschlossen war.
Schließlich blinzelte er mir zu.
»Hast du vielleicht eine Minute Zeit?« fragte er.
»Ich befürchte ja«, sagte ich.
»Ich werde mir verkneifen zu fragen, ob es auf der anderen Seite ums Geschäft oder ums Vergnügen ging.«
»Ums Vergnügen«, sagte ich, »aber auch um ein sonderbares Geschäft. Frag mich nicht, sonst verpasse ich den Nachtisch.«
»Ich fasse mich kurz«, sagte er. »Die Krönung in Kashfa wird morgen stattfinden.«
»Es wird keine Zeit verschwendet, was?«
»Nein. Der Gentleman, der den Thron besteigen wird, ist Arkans, Herzog von Shattbrunn. Er war im Laufe der Jahre immer wieder mal in einigermaßen verantwortungsvollen Positionen Mitglied der verschiedenen kashfanischen Regierungen. Er weiß wirklich Bescheid darüber, wie die Dinge laufen, und er ist ein entfernter Verwandter eines der früheren Monarchen. Mit Jasras Clique verstand er sich nicht besonders gut und verbrachte die meiste Zeit während ihrer Machtperiode auf seinem Landsitz. Er kam ihr nicht in die Quere, und sie kam ihm nicht in die Quere.«
»Hört sich vernünftig an.«
»Tatsächlich hegte er hinsichtlich der Lage in Eregnor die gleichen Gefühle wie sie, was den Begmaniern sehr wohl bewußt ist...«
»Und was, bitte«, unterbrach ich ihn, »ist Eregnor?«
»Das ist deren Elsaß-Lothringen«, erklärte er, »ein großes, reiches Gebiet zwischen Kashfa und Begma. Es hat im Laufe der Jahrzehnte so häufig die Zugehörigkeit gewechselt, daß beide Länder begründet erscheinende Ansprüche darauf erheben. Selbst die Einwohner dieses Gebietes sind in dieser Hinsicht unentschieden. Sie haben Verwandte in beiden Richtungen. Ich bin nicht einmal sicher, ob es ihnen nicht gleichgültig ist, welche Seite sie beansprucht, solange ihre Steuern nicht erhöht werden. Ich glaube, der Anspruch Begmas ist vielleicht etwas stärker, doch man könnte den Fall so oder so darstellen.«
»Und derzeit gehört es zu Kashfa, und Arkans will es unbedingt behalten.«
»Richtig. Genau dasselbe sagte auch Jasra. Der Interims-Herrscher jedoch - Jaston war sein Name, er stammte aus
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