Amber-Zyklus 10 - Prinz des Chaos: der Titel
Intelligenz?«
»Interessant. Ist das eine hypothetische Frage?«
»Nein, genau das ist jenem Wesen widerfahren, das du auf mich angesetzt hast. Anscheinend gelingt es ihm jetzt nicht mehr, diesen Körper zu verlassen. Warum nicht?«
»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete sie.
»Es sitzt in der Falle«, schlug Suhuy als Antwort vor. »Es kann nur kommen und gehen, wenn es sich mit der einem anderen Körper innewohnenden Intelligenz austauscht.«
»Der Körper erholte sich unter der Beherrschung durch das Ty'iga wieder von der Krankheit, die sein Bewußtsein abgetötet hatte«, sagte ich. »Heißt das, es sitzt jetzt bis zu dessen Lebensende dort fest?«
»Ja, soweit ich weiß.«
»Dann sag mir doch bitte folgendes: Wird es erlöst sein, wenn dieser Körper stirbt, oder wird es mit ihm sterben?«
»Beides ist möglich«, antwortete er. »Doch je länger es in dem Körper verweilt, desto wahrscheinlicher ist es, daß es mit ihm untergehen wird.«
Ich wandte den Blick wieder meiner Mutter zu.
»Da hast du das Ende der Geschichte«, bemerkte ich.
Sie zuckte mit den Schultern.
»Ich bin mit diesem einen Ty'iga fertig und habe es aus meinem Dienst entlassen«, sagte sie. »Man kann immer wieder ein neues auftreiben, falls sich die Notwendigkeit ergibt.«
»Tu das nicht«, warnte ich sie.
»Ich werde es nicht tun«, beschwichtigte sie mich. »Im Augenblick besteht kein Bedarf.«
»Doch wenn du glaubtest, es bestünde einer, dann würdest du es tun?«
»Eine Mutter neigt dazu, die Sicherheit ihres Sohnes über alles zu stellen, ob dem Sohn das nun gefällt oder nicht.«
Ich hob die linke Hand und streckte den Zeigefinger in einer wütenden Geste aus - und bemerkte im selben Moment, daß ich ein leuchtendes Armband trug, das wie eine beinahe hologrammartige Nachahmung eines gewebten Bandes wirkte. Ich senkte die Hand, unterdrückte meine beabsichtigte Erwiderung und sagte statt dessen: »Jetzt weißt du über meine Gefühle Bescheid.«
»Ich weiß schon seit langem darüber Bescheid«, sagte sie. »Laß uns zusammen auf Burg Sawall speisen, in einer halben Umdrehung, zu Purpurhimmel. Einverstanden?«
»Einverstanden«, sagte ich.
»Also, bis dann. Eine gute Umdrehung, Suhuy.«
»Eine gute Umdrehung, Dara.«
Sie machte drei Schritte und war verschwunden, wie es die Etikette vorschrieb, auf dieselbe Weise, wie sie gekommen war.
Ich drehte mich um und schlenderte zum Ufer des Teiches, blickte in seine Tiefe und spürte, wie sich die Knoten in meinen Schultern allmählich lösten. Jasra und Julia waren jetzt wieder dort unten, zurückgekehrt in die Zitadelle des Horts, und verrichteten irgendeine geheimnisvolle Arbeit im Labor. Und dann trat der Teich über die Ufer und überflutete sie mit einer grausamen Wahrheit jenseits aller Ordnung und Schönheit, die sich allmählich zur Maske einer faszinierenden, erschreckenden Proportion formte.
Ich spürte eine Hand auf meiner Schulter.
»Familie«, sagte Suhuy, »ist etwas Fesselndes und Verrücktmachendes. In diesem Augenblick spürst du die Tyrannei der Zuneigung, nicht wahr?«
Ich nickte.
»Mark Twain hat einmal in etwa gesagt: > Deine Freunde kannst du dir aussuchen, deine Verwandten nicht<«, antwortete ich.
»Ich weiß nicht, worauf sie es angelegt haben, obwohl ich einen bestimmten Verdacht habe«, sagte er. »Fürs erste bleibt dir nichts anderes übrig als auszuruhen und zu warten. Ich würde gern mehr von deiner Geschichte hören.«
»Danke, Onkel. Ja«, sagte ich, »warum nicht?«
Also lieferte ich den Rest meiner Erzählung. Irgendwann zwischendurch begaben wir uns in die Küche, um uns erneut zu stärken, dann nahmen wir einen anderen Weg auf einen freischwebenden Balkon über einem gelbgrün getönten Ozean, der sich an rosafarbenen Felsen unter einem dämmerigen indigoblauen Himmel ohne Sterne brach. Dort beendete ich meine Geschichte.
»Das ist höchst interessant«, sagte er schließlich.
»Ach ja? Hast du etwas daran entdeckt, das ich übersehen habe?« fragte ich.
»Du hast mir zuviel Stoff zum Nachdenken gegeben, als daß ich ein übereiltes Urteil abgeben möchte«, sagte er. »Wir wollen es für den Augenblick dabei belassen.«
»Sehr wohl.«
Ich lehnte mich aufs Geländer und blickte ins Wasser hinunter.
»Du brauchst Ruhe«, sagte er nach einer Weile.
»Kann sein.«
»Komm, ich bringe dich in dein Zimmer.«
Er streckte die Hand aus, und ich ergriff sie. Gemeinsam sanken wir durch den Boden.
Und dann schlief ich, umgeben
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