Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
Vom Netzwerk:
uns jetz noch fester, rannten schneller, wenn wir auch noch nich direkt sprinteten. »Man, das geht scheiße aus«, hörte ich Jude keuchen. »Macht euch fertig für ne schnelle Flucht!« Wir bliebn dicht beisammen, was aber nich einfach war, weil die Menschen inzwischen kreuz und quer durcheinander liefen, die Schaufenster eintraten, in die Geschäfte eindrangen, noch mehr Fenster einschlugen und Autos umwarfen, die in den Querstraßen steckengeblieben waren. Der Platz vorm Lincoln Center war blau vor lauter Bullen, die uns zusahen und Columbus Avenue absperrten, südlich von der Stelle, wo sie den Broadway kreuzt. Mir blieb die Spucke weg, als aus der Columbus ne ebenso große Menschenmenge hervorbrach wie unsere, gezwungen, sich mit uns zu vereinen.
    Irgend jemand warf mit einem Ziegelstein ein Fenster ein, das war wien Signal. Sekunden nach diesem ersten Wurfgeschoß fuchtelte jeder, der ne Art Waffe mitschleppte, damit auf und ab. Es klang, als gingen sämtliche Fensterscheiben dieses Straßenzugs auf einen Schlag zu Bruch. Obwohl wir mitten in der Menge steckten, regneten die Splitter sogar auf uns nieder. Einige zündeten die Bäume vor dem Center an und verwüsteten die Läden und Restaurants. Wir rannten inzwischen volles Tempo, bemüht, uns nich trennen zu lassen. Wenn man nach links blickte, konnte man erkennen, daß die Central Park West ebenfalls hackedicht war, die Masse unterwegs zum Columbus Circle, wo wir aufeinandertreffen mußten. Uptown mußte menschenleer sein, Anne, und keine Ahnung, wie viele sich unterwegs angeschlossen hatten. Über unsern Köpfen schwirrtn Dutzende von Polizei- und Militärhubschraubern im Tiefflug. Midtown lag direkt vor uns jetzt, seine Wolkenkratzer verschwommen und diesig in der schlechten Luft. War das aufregend, Anne, wir in höchstem Tempo, überall das zersplitternde Glas, der Lärm; mir stieg das Adrenalin zu Kopf, und ich wäre am liebsten in die Luft gesprungen: so am hellichten Tag Amok laufen zu können!
    Da erreichten wir Columbus Circle, eine große, freie Fläche. An einer Ecke ist der Park, wo Central Park West runterkommt, gekreuzt von der 59., und der Broadway schneidet genau die Mitte. Auf der anderen Seite ist ne große Freifläche, proppenvoll mit Bullen. Klare Sache, das Militär wollte uns hier um jeden Preis festnageln, bevor wir midtown aufmischn konntn. Wir konnten nich gleich erkennen, was abging, aber wir hörten es. Die Menge brüllte wie am Spieß, die Soldaten feuerten. Sie hatten Maschinengewehre am Südrand des Circles plaziert, und als er sich von Norden her füllte, gaben sie Stoff.
    Normalerweise schmeißt man sich ja zu Boden, wenn man Schüsse hört, aber wer das jetzt tat, wurde zertrampelt, weil vorne alle kehrtmachten und zurückrannten. Ich, Jude und Iz wurden auf der Stelle getrennt. Alle schrien wie besessen, dann drehten sie in echt durch. Ein Mann rannte mich über den Haufen; für Sekundenbruchteile war ich überzeugt, ebenfalls zermanscht zu werden, aber ich kam halb aufgerichtet am Boden auf und gleich wieder hoch. Dann drängelte ich ebenfalls nach hinten, oben rum, unten rum, immer Richtung Gehsteig. Da belegten uns auch die Hubschrauber mit Feuer; die schossen auf alles, auch auf die letzten heilen Fenster hoch droben. Bei uns herunten wurde dermaßen gedrängelt, daß mir die Stiefel von den Füßen gezogen wurden. Ich war von Sinnen, Anne, da war nix zu machen als klettern, fliehen, auf Menschen treten, bloß weg, bloß raus. Wurde ich gestoßen, stieß ich zurück, ich trat, ich fluchte und schließlich hatte ich es auf den Gehsteig geschafft. Ich stand vor der Westfront des Hauses der Bibelgesellschaft, die völlig zerschossen war, und suchte nach Iz und Jude. Die Bullen rückten nach Norden vor, droschen auf jeden Schädel, der ihnen unterkam, und brüllten in ihre Megaphone, jeder solle nach Hause gehen Geht nach Hause Geht nach Hause, ohne mit der Schädelspalterei aufzuhören. Ich hatte mich eng an die Fassade gedrückt und sah den Blauen beim Schlagen und Verstümmeln zu, den Protestlern beim Zubodenfallen und beim Nordwärtswanken. Mir gefriert das Blut, Anne, wenn ich jetzt dran denke, daß ich mich einfach nich mehr rührte, bloß da kauerte, völlig fertig. Bald schon meinte ich, mir könne nix mehr passiern; der Broadway wurde leerer. Hunderte schienen in den Park gerannt zu sein, aber viel, viel mehr übersäten den Boden. Die Teerdecke war nicht mehr zu sehen, alles voller Erschossener und Zertrampelter.

Weitere Kostenlose Bücher