Ambient 02 - Heidern
jetzt aber die ganze Stadt beherrschen. An jeder Querstraße hab ich vorsichtig gecheckt, ob ich sie nehmen kann, und in jeder sahs übel aus bis rauf zur 96. Da geht die West End innen Broadway über, also konnt ich nich mehr aus, aber inzwischen herrschte hier sowas wie Friedn. Manchmal warn Fahrstreifen von nem ausgebranntn Auto versperrt, und im Schaufenster von Sloans an der 110. steckte ein Bus, aber sonst sahs eigentlich ziemlich normal aus. Die U-Bahn war gesperrt, Soldaten bewachten die Ausgänge, ebenfalls die an der Columbia und die Hochbahnhaltestelle bei uns. An den Geschäften waren schon Spuren von Plünderungsversuchen, aber die meisten hatten ihre Fenster eh schon mit Brettern vernagelt, als sei ein Hurrikan im Anzug. Der Broadway füllte sich mit Schaulustigen wie sonst auch, aber diese Spaziergänger konntn in den Schaufenstern nix mehr sehn; alle wanderten mit nem stieren Blick auf und ab, als hättn sie eben eine übergezogn gekriegt.
Kurz vor unserem Haus hatte ich plötzlich Angst, es könne vielleicht nich mehr da sein, aber nein, da stand es, groß und hoch wie eh und je. Die von der Stadt hattn wohl die Brückn dicht gemacht, weil keine Autos fuhren, bloß Militär und Polizisten auf Streife in ihren Karren, die alles und jedn mit tödlichen Blickn mustertn. Die meistn sahn schlimmer aus als ich, also ließ man mich in Ruhe, gut so. Schließlich ging ich ins Haus, nich ohne genau zu checken, ob alles sicher war. Innen konnte man meinen, Anne, es wär nix geschehn. Es war so ruhig. Ich haute mich ins Bett und wünschte mir stundenlang, endlich schlafen zu können, wünschte mir, daß Mama nich in der Klinik sei, wünschte uns alle zurück in die 86. Straße. Keine Anrufe von Iz oder Jude, also auch keine Ahnung, ob und wie sies überstandn habn, ob sie noch lebn. Das macht mir auch was aus, aber ich laß mich jetz nich runterziehn bis ich nich nen Grund dafür hab. Die sin zäh, also denk ich mir erst mal: denen gehts schon okay, die sin bloß woanders. Kann grad nich so richtig drüber nachdenkn bin dieses völlige Alleinsein noch nich gewöhnt.
Als es finster wurde, bin ich ziemlich erfrischt wieder aufgestandn. Ich warf n Blick auf mein Kissen, dort, wo mein Kopf gelegn is, rot ja, aber nich besonders, also hats wohl aufgehört zu blutn. Unter der Dusche hats gebrannt, als ich mir den Kopf wusch. Abgetrocknet und dir geschriebn, weil du schließlich wissn mußt, was heute los war, den Teil der Geschichte, mit dem sie nie rausrückn werdn, und Erinnerungen verblassen.
6. Juli
Mama rief heute vom Krankenhaus aus an. »Engelchen, übermorn daf ich heim. Ich bin aufm Weg der Beschscherung, nur noch zur Beobachun hier. Meiner Meinung na wolln se blo die Rechng hochtreibn.«
»Zahlt alles der Verband?«
»Theoretitsch ja, meineliebe, aber die werfn uns nacher Entlaschung bestimm raus. Von heut an bleibn wir beidn besser gesund.« Was sie sagte, klang so verwaschen, daß ich mich fragte, wieviele Tabletten sie ihr wohl gegeben habn, bevor sie anrufn durfte.
Dann rief Iz an. Mein Herz raste vor Freude, sie zu hören und ich lauschte gebannt. »Habn uns auch festgenagelt«, erzählte sie von der Zeit, nachdem wir getrennt wurden. Sie schafften es eine Querstraße weiter südlich als ich, aus der Menge zu entwischen. Kaum warn sie aufm Gehsteig, umzingelten sie schon die Bullen und schlugn auf sie ein. »Man möcht meinen, kleine Mädels würdn verschont, aber nix da, sobald son Bulle durchdreht, gibts kein Halten mehr.« Sie verprügelten Jude und Iz, der sie ne Rippe brachen. Jude hat ne Gehirnerschütterung. Wie bei mir auch passierte das im Vorbeigehn; schnell zogen sie weiter Richtung uptown, in einem fort um sich dreschend. Jude und Iz bliebn aufm Gehsteig zurück und bluteten wie alle andern auch.
»Jude kreischte mir zu, ich soll wo anrufn, hier die Nummer, sag das und das. Ich schleppte mich los, verkrümmt und alles, fand ne Telefonzelle, die nich hinüber war und wählte. Ne Industrietussi ging ran; ich hab mich an Judes Text gehalten, ihr gesagt wer wir sind und wo und was passiert is. Die sagte bloß: ›Rührt euch nicht vom Fleck!‹ und legte auf.«
»Und dann?«
»Und dann kam n Wagen, der uns ins Krankenhaus brachte.«
»Irre.«
»So irre auch wieder nich.«
»Was fürn Wagen?«
»N Auto vonnem Mackerfreund von Jude. Gute Sache, wir warn ziemlich fertig.« Iz hats nich direkt gesagt, aber wenn ichs mir überlege, müssn sie wohl in der Limo gewesn sein, die ich da
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