Ambient 02 - Heidern
ein wenig, die Betonung liegt auf ›wenig‹, herumgelesen in Sachen Schattenuniversen, so Zeug. Aber da ich keine naturwissenschaftliche Ausbildung habe, interessiert mich das kaum. Die Parallelwelt, die mir vorschwebte, ist eine Metapher, eine anders geartete Vergleichswelt, in die meine Charaktere hinüberwechseln. Für mich ist es ein ›Worst Case‹-Szenario: So schrecklich alles sein mag in der Welt der nahen Zukunft meiner Bücher – es gibt eine Welt, in der es noch furchtbarer zugeht. Mich interessierte darüber hinaus, was ich wohl aus der Gegenüberstellung einer baldigen Zukunft, die leicht die unsere wird sein können, mit einer gerade vergangenen Zeit und Welt, die fast die unsere hätte sein können, herausholen könnte. Also habe ich mich dieser Parallelwelt-Geschichte keinesfalls aus naturwissenschaftlichem Interesse genähert. Ich ging die Sache als literarisches Experiment an, als interessanten Hintergrund für mein Schreiben.
F: Nach den Büchern bei TOR hat GROVE/ATLANTIC MONTHLY Ihren Roman ›Zufällige Akte sinnloser Gewalt‹ herausgebracht und die Rechte an Ihrem Mainstream-Roman ›Let's Put the Future Behind Us‹ erworben. Also werden Sie dereinst Ihre Zeit im Science Fiction-Genre als kleine Karriereverirrung abtun können?
A: Wer weiß. Ein Kollege hat mich einmal interviewt, und wir kamen auch auf dieses Thema. Er sagte schließlich, ich sei ein Science Fiction-Autor, auch wenn ich keine Zeile SF mehr absondern würde. Ich verstehe, was er meint: meine Sicht der Welt. Es macht einfach einen Unterschied, ob ich mir die Dinge auf breiter Basis betrachte oder bloß aus der Perspektive meines Viertels oder meines Wohnblocks. Wie hängt das Leben des einzelnen zusammen mit dem Leben als solchem? Diese Frage zu beantworten war einmal die Aufgabe der Schriftsteller. Das wird weniger, enger. Andererseits gibt es Schriftsteller, die ihren Anspruch auf eine breite Basis setzen und es mit der Welt aufnehmen: De Lillo auf jeden Fall, Cormac McCarthy auf andere Art, ebenfalls Pynchon und Ballard.
Ich habe mich wieder der allgemeinen Literatur zugewandt, weil die Welt meine Fiktion eingeholt hat, befürchte ich mal. Ich war gezwungen, meine ersten Bücher etwas in die Zukunft zu verlagern, weil ich einfach das surreale Gefühl nicht vermitteln konnte, das mich immer beschlich, wenn ich von unserer Welt in einem zeitgenössischen Buch las. Heute scheint die Welt so viel seltsamer geworden zu sein, daß ich dieses In-die-Zukunft-Verpflanzen nicht mehr brauche. Entweder so, oder ich bin einfach abgestumpft und die Wörter scheinen mir nicht mehr Vierteltöne daneben zu klirren, wenn ich im Hier und Jetzt schreibe.
F: Gleich zu Beginn Ihrer Laufbahn haben Sie sich an einen Romanzyklus gewagt, der Jahre brauchte und brauchen wird, bis er beendet ist.
A: Nun, da habe ich mir schon seltsamere Dinge geleistet …
F: War der sechsbändige Zyklus bereits entworfen, als Sie mit dem Schreiben von ›Ambient‹ begannen?
A: Als ›Ambient‹ halb fertig war, dämmerte mir, daß ich mehr Platz brauchte, um meinen Anliegen gerecht werden zu können. Als ›Ambient‹ dann ganz fertig war, hatte ich mir ein rohes Gerüst zurechtgezimmert für die verbleibenden Bücher, und außerdem stellte sich heraus, daß ›Ambient‹ nicht der chronologische Beginn des Zyklus sein würde. Es schien mir mein Unternehmen auch interessanter zu machen, wenn man von Buch zu Buch vor und zurück in der Zeit gehen müßte.
Als ich anfing zu schreiben, war ich mit Bill Gibsons Werk völlig unvertraut; Ballard hatte ich nie gelesen, ›Blade Runner‹ nicht gesehen und ›Road Warrior‹ auch nicht. Was ich gesehen hatte, war ›A Clockwork Orange‹, dazu vor Jahren das Buch gelesen – unnötig zu sagen, daß der Film mir besser gefällt. Aber im Herbst 1983, als ich mit ›Ambient‹ begann, war ich ein paar Wochen arbeitslos, Kabel war gerade angeschlossen worden, MTV ging gerade auf Sendung: das lief ständig, Videobilder durchtränkten meine Behausung, mitten drin ich, wie ich Bewerbungen rausschicke und auf Antwort warte, die nie kommt. Dazu Fernsehen, die ganze Zeit Fernsehen im Hintergrund, dudel, dudel, twäng – und eines Morgens stehe ich auf, setze mich vor die Schreibmaschine und hacke los. Eine Woche später war die Rohfassung der ersten sechs Kapitel von ›Ambient‹ fertig. Sie ähnelten nichts, was ich bis dahin geschrieben hatte – oder seither.
Ohne eine bewußte Entscheidung
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