Ambient 02 - Heidern
gefeuert, weil die Münzen in den Laden der Registrierkasse nicht in ordentlichen Reihen lagen. Deswegen mußte Pappi gestern nacht und Freitagnacht auch arbeiten. Er bekommt aber keine Überstunden bezahlt, weil er ja ein festes Gehalt hat. Am Sonntag hat Pappi diesmal allerdings frei, weil er sonst zwei Wochen fast ohne Pausen durchgearbeitet hätte. Aber nur Herr Mossbacher ist jeden Tag im Laden und arbeitet dort zehn Stunden lang. Mama schlug vor, wir sollten Pappis Freizeit am Wochenende ausnutzen, um zusammen etwas zu unternehmen, falls er sich danach fühlen würde. Es ist schön, mit Pappi zusammen zu sein, aber hoffentlich fühlt er sich nicht danach, Anne. Ich möchte lieber etwas mit Iz unternehmen. Mal sehen, was passiert. Iz hat heute angerufen und erzählt, daß Weezie ebenfalls die ganze Woche nicht in der Schule gewesen sei. Vielleicht hat sie sich ja mit Lori zusammengetan. Boob gehts wie immer. Irgendwas
7. Mai
Gestern abend ließ ich den Stift aus der Hand fallen, weil sich Boob von hinten angeschlichen hatte und rief: »Was schreibst du da über mich?«, was mich kalkweiß werden ließ.
»Bloß, daß du unglücklich bist und keiner von uns weiß, was dir eigentlich fehlt, Boob.« Hätte ich natürlich nicht geschrieben, Anne, weil wir ja alle Boobs Verhalten inzwischen kennen, aber trotzdem ist es genau das, was uns umtreibt.
»Kannst du dich noch erinnern, Boob, als du zu mir gesagt hast, ich solle nichts in mich hineinfressen, weil es mich sonst zerreißen würde?« Sie nickte. »Du weißt also genau, wenn ich etwas in mich hineinfresse, oder?«
»Ja.«
»Dann sind wir schon zwei mit Augen«
»Ich fresse nichts in mich hinein.«
»Boob, du stehst doch vor einer Explosion. Ich sehe das, Mama sieht das und Pappi auch. Also, Boob, rück raus damit, rück raus und komm mir nicht komisch.«
Boob weinte und erzählte mir endlich, um was es sich dreht. Ihre Schulfreundinnen sind genauso doof wie die meinen, nur will sie weiterhin mit ihnen zu tun haben. Seit unserem Umzug nennen sie Boob ›Getto Girl‹, obwohl wir nicht im Getto wohnen, sondern bloß in einem ärmlichen Viertel. Sie kritzelten mit einem schwarzem Filzer ›Sozialhilfeempfänger‹ auf ihre Tischplatte im Geo-Kurs, und die Lehrerin zwang Boob, es abzuwaschen. Und sie lachten sie wegen ihrer Kleidung aus, dabei ist es dieselbe wie vor unserem Umzug.
»Beschimpfen sie dich auch die ganze Zeit?« Boob nickte. »Und was erwiderst du?«
»Am Anfang sagte ich immer ›aufhören‹, aber dann hörten sie erst recht nicht auf.« Sie schluchzte immer noch. Ich hielt sie im Arm und schaukelte sie ein wenig, während sie zehn Minuten lang Rotz und Wasser heulte. Boob tat mir leid, aber ich konnte nichts sagen, was sie ohnehin nicht bereits wußte. Wenn das alles war? Aber ich war ja froh, daß dies alles war, weil wir schon Angst hatten, sie würde verrückt werden.
»Wissen deine Lehrerinnen, was dir die anderen antun?«
»Ja, das wissen sie, aber sie unternehmen nichts.«
»Wie gemein von denen!« Boob nickte. »Bist du sicher, daß sie Bescheid wissen? Hast du es ihnen erzählt?«
»Bin doch keine Petze! Wann dürfen wir wieder nach Hause?«
»Boob, ich habe es dir schon erklärt: die sind pleite. Wir bleiben hier.« Ich war nicht scharf darauf, sie noch mehr aufzuregen, aber ich wollte auch nicht die Unwahrheit sagen.
»Ich hasse alles hier!« sagte Boob.
»Du gehst doch nicht einmal raus, Boob, wie kannst du dann alles ablehnen?«
»Weil wir hier nicht zu Hause sind.«
»Doch, das sind wir, Boob. Überall, wo wir sind, ist auch unser Zuhause.« Das stimmt so schon, aber ich verstehe sehr gut, was Boob eigentlich meint. Mir gefällt es hier oben gar nicht so schlecht, aber ich habe auch neue Freunde gefunden und sie nicht, darum geht es. Boob ist genauso ein Snob wie ihre Freundinnen, deswegen trauert sie denen auch so nach.
»Hör mal, die Mädchen, mit denen ich auf der Brearly befreundet war, sagen das gleiche dumme Zeug zu mir. Nur zeige ich ihnen die kalte Schulter, wenn sie auf mich losgehen. Ignoriere die Idioten, mehr kannst du nicht tun.«
»Das ist aber nicht alles, was sie zu dir sagen.« Sie war so schlecht zu verstehen, weil sie immer noch so heftig schluchzte.
»Was meinst du, Boob?«
»Ich weiß, daß sie zu dir noch ganz andere Dinge sagen!«
»Und wer erzählt dir so was?«
»Trish.« Trish ist Tanyas Schwester und um keinen Deut besser als sie, bloß jünger. »Trish und Debbie und Gloria. Sie
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