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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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setzte Bernard das Gespräch fort, improvisierte.
    »Hast du soeben deine Schwester gehört?« Lester lag jetzt auf dem Boden und weinte; er nickte. »Ihr liegen deine besten Interessen am Herzen. Was wollt ihr anderen Familienangehörigen nach Meinung eurer Mutter mit ihrer Seele anstellen?«
    »Sie in die Hölle stürzen«, antwortete Lester. »Sie sagt, wir brennen schon in der Hölle und wollten sie mit runterziehn.«
    »Sie zurückholen, würde ich meinen«, sagte Bernard. »Aber du riechst, daß da etwas kokelt, ja? Bist du es? Nein? Ihr zwei seid allerdings daran schuld. Ihr habt völlig den Toast vergessen.«
    »Betsy läuft hin und nimmt ihn raus.«
    »Hättet ihr auf das aufgepaßt, was Aufmerksamkeit erforderte, wäre überhaupt nichts schiefgegangen, oder?« fragte Bernard. »Statt dessen habt ihr euch stark mit den Angelegenheiten anderer abgegeben …« Ich schwang ein Bein, versuchte Bernard zu treten, doch der Abstand zu ihm erwies sich als zu groß, mein Schuh streifte nur seine Hose.
    »Ja …«
    »Siehst du jetzt, wohin es kommt, wenn man die Wünsche anderer Menschen nicht beachtet?« Bernard wartete, bis Lester das Heulen eingestellt hatte, so daß er durchs eigene Schluchzen wieder Worte hören konnte. »Das ist etwas, das du noch lernen mußt, nicht wahr? Gut, na gut. Was sagt nun dein Vater?«
    »Nichts.«
    »Deine Mutter öffnet ihre Zimmertür. Du hörst es. Was sagt dein Vater?«
    »›Leg das weg‹«, wimmerte Lester. »Er sagt: ›Leg das weg.‹«
    »Was soll sie weglegen?« Bernard beugte sich vor, die Augen feucht von etwas anderem als Kummer; er atmete durch den Mund, als drohte die Erregung ihn so zu überwältigen, daß er zuwenig Luft bekam. »Was hörst du als nächstes, Lester?«
    »Nichts …«
    »Deine Schwester hat alles gesehen, Lester. Was hat sie gesehen?«
    »Ich weiß nicht …«
    »Doch, du weißt es«, widersprach Bernard.
    »Nichts, nichts, gar nichts …«
    »Sag's mir …!«
    »Nein!«
    Die zweite Modepuppe stand am anderen Ende des Raums in Avis Nähe; wortlos zog er ein doppelläufiges Gewehr hervor, das bisher der Kittel vollständig verborgen hatte, legte die Waffe an und schoß aus beiden Läufen. Das Knallen dröhnte uns in den Ohren; im selben Augenblick, als ich es hörte, sah ich den Torso in unzählbare Splitter zerbersten, die die Blässe der Wand verdunkelten, indem sie sich in den Putz bohrten. Lester krümmte sich um die Räder seiner Schwester-Puppe, schrie lang und laut. Völlig fasziniert von dem Drama, das sich uns darbot, ließ Thatcher im gleichen Moment die Hand von meinem Mund sinken; ich biß die Zähne in das Häutchen zwischen Daumen und Zeigefinger.
    »Daß dich der Teufel hole!« fauchte ich ihn an. Doch ehe ich mich von Thatcher, nachdem er mich losgelassen hatte, weiter als einen halben Meter entfernen konnte, stand plötzlich Jake an meiner Seite, packte meine Hand, hob die Spitze seines Skalpells an den Übergang zwischen meinem Kinn und dem Hals.
    »Bitte, Joanna«, sagte er. »Nich.«
    »Jake«, mahnte Thatcher. »Halt sie bloß zurück.«
    »Sind wir jetzt fertig da hinten?« fragte Bernard, indem er sich vom Mikrofon abwandte. Thatcher wickelte sein Taschentuch um die verletzte Hand; ich hatte ihn bis aufs Blut gebissen.
    »Sorg dafür, daß sie ruhig bleibt, Jake«, erteilte Thatcher Anweisung. Ich glaubte, jemand klopfte an die Tür; doch niemand anderem im Raum konnte man anmerken, daß er etwas derartiges gehört hätte. Bernard tippte mit dem Finger gegen das Mikrofon, um sich davon zu überzeugen, daß das Knallen es nicht beschädigt hatte. Die Musik wechselte; Tallis' für vierzig Stimmen konzipierte Motette ergoß über uns ihren Wasserfall von Gesang. Ich sah Avi nachladen.
    »So, und nun volle Sense«, sagte Bernard, vertiefte seine Stimmlage von ihrem natürlichen, dunklen Bariton auf ein genöltes Knurren, wie es zum Großen Bösen Wolf gepaßt hätte. »Was ist jetzt, Lester?«
    »Bitte laß es …«, jammerte Lester.
    »Ihr beide hört wieder Schritte«, sagte Bernard. »Keine Schritte eures Vaters. Wessen Schritte sind es? Was macht deine Schwester?«
    »Sie versteckt mich. In der Vorratskammer.« Völlig unerwartet, als wäre er ein aus dem Wasser an Land geworfener Fisch, wälzte Lester sich über den Fußboden, bis er an der Avi gegenüber befindlichen Wand lag; zwischen ihnen, in etwa einem Meter Abstand von Lester, stand die Schwester-Puppe. »Sie steht mir in der Sicht … An der Tür.«
    »Du siehst ihren

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