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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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Es warf Lester empor in die Luft, als wären seine Arme und Beine, obwohl nicht der Trägheit entledigt, von der Last der Schwerkraft erlöst worden; weder umkreisten ihn Seraphim, noch umschwebten Cherubim sein Haupt; der weiße Himmel, an den er aufzufliegen schien, trübte sich von feinem roten Nieseln. Wie beim Herantosen eines Tornados zwängte sich schmerzhafter Druck in meine Ohren; als der Knall widerhallte, glich das Echo einem Donnerschlag aus dem tiefsten innersten des Sturms. Während es mit einem Rumoren verklang, schienen in meinem Kopf tausend Glocken zu dröhnen. Lester fiel, als wäre er aus dem Himmel verstoßen worden; wie der aus dem Fenster geworfene Säugling überschlug er sich, während er zurück auf die Erde stürzte. Kaum prallte er auf, rannte ich zu ihm, kein Ton außer dem Schallen drang mir ins Hirn, ich kniete nieder, tränkte mein Kleid mit Lesters Blut, aber wußte bereits, ich konnte die Wunde in seiner Seite nicht schließen. Es ließ sich nichts tun, das nicht gewährleistet hätte, daß es vollbracht wurde.
    »Sie Idiot!« brauste Bernard auf. »Thatcher, Sie Bonsai-Hirn! Was machen Sie da eigentlich …?«
    »Du hast sie umgebracht!« tobte Thatcher auf Lester ein, so außer sich vor Wut, daß er nicht merkte, wie Avi ihm das Gewehr entriß, es in die hinterste Ecke des Aktionsraums schleuderte, wo es auf dem Boden liegen blieb. »Am einen Tag rettet er ihr's Leben, am nächsten bringt er sie um. Verfluchter, verlogener Hurensohn …!«
    »Thatcher …!«
    »Sie ist tot, sie ist tot, ich weiß, daß sie tot ist …«
    »Wovon quasselt er?« fragte Bernard. »Thatcher, Sie sind ja ein derartiger Idiot …!«
    Jake betrat den Aktionsraum, stand still, sobald er das Blut sah. Avi drängte Thatcher ab, hatte die Fäuste an seinen Oberarmen, während er ihn hinausbugsierte. »Du und dein Scheißgott!« brüllte Thatcher. »Ich weiß, sie ist tot. Ich werde …«
    »Es war nicht vorgesehen, daß die Behandlungsmaßnahme mit dem Ableben des Subjekts endet«, sagte Frank, seine Stimme klang, soweit ich es in dem Moment unterscheiden konnte, nach Selbstbeherrschung; mehr spürte ich es, als daß ich es hörte. Die Musik spielte ununterbrochen weiter. Ich fühlte Lesters Puls.
    »Was soll ich tun? Was …?«
    »Sie Idiot. Sie …«
    »Japan!« schrie Thatcher jedem die Ohren voll, der ihm noch zuhören mochte. »Japan, hatte ich gesagt …!«
    In meinen Armen schlug Lester die Augen auf; er bewegte den Mund, doch über seine Lippen kam kein Wort, das ich verstanden hätte. Aus Sorge, mein zeitweilig beeinträchtigtes Gehör könnte verhindern, daß ich erfuhr, was er womöglich noch zu sagen beabsichtigte, neigte ich mein fast taubes Ohr unmittelbar an seine Lippen; dennoch vernahm ich keinen Laut. Ich beugte den Arm, machte Anstalten, die Hand auf seine aufgeplatzte Narbe zu legen; er hob die Hand, schob meine zurück.
    Als er endlich sprach, ich schließlich wieder hörte, quoll ihm mit den Wörtern, die er hervorpreßte, Blut aus dem Mund.
    »Bitte …«, raunte er. »Mama …«
    »Joanna«, sagte Jake, der hinter uns stand, mit deutlicher, tiefer Stimme. »Endzeit, Joanna. Zu lang lein muß nich sein.«
    Endzeit, ja. Ohne Lesters Hand loszulassen, nickte ich Jake zu, ihm Platz machte, indem ich beiseiterutschte, weil ich wußte, die Anschauung zählte, aufgrund der man eine Handlung ausführte, nicht das Tun selbst, also gab ich meinen Segen zur Euthanasie, wie Jake sie von Gus so gut gelernt hatte.
    »Schema Jisroel …«, fing Avi in seiner Vatersprache zu beten an, und fiel mit in den Psalm ein, betete in der Sprache meiner Eltern.
    »Erhöre uns, o Herr«, sagte ich. »Gott der Herr ist der einzige Gott …«
    Gottheit, eins im Handeln, eins in der Gestalt, obwohl nicht im Geist: Gott hin, Göttin her, wenn die Tat verabscheuenswürdig ist, wie kann die Gesinnung, in der man sie verübt, sie rechtfertigen? Jake streckte seinen Zeigefinger; das Skalpell glänzte im unbarmherzigen Licht. Er bewegte die Hand um Lesters Kopf, fand die gesuchte Stelle; dann fühlte ich, während Lester von uns ging, eine solche Hitze in mir aufwallen, daß ich gleich darauf dachte, sie müßte mich zuletzt in dem Bewußtsein verzehren, daß meine Flammen heißer und heller loderten, meine Weißglut rings um mich die Welt und alle, die darin lebten, in ihrer Lohe verbrannte.
    »Joanna«, sagte Avi, »laß uns gehen.«
    Ihre Hände halten die Sonne, aber verbrennen niemals; Ihre Augen blicken ins Feuer,

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