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Ambient 02 - Heidern

Ambient 02 - Heidern

Titel: Ambient 02 - Heidern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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Essen?«
    »Warmen Käsetoast.« Der Duft erwärmten Toasts durchzog den Raum.
    »Riecht so gut, daß man fast doch ein Häppchen essen möchte, wie? Ihr seid jetzt beide in der Küche und unterhaltet euch über eure Eltern. Ist es nicht gemütlich in der Küche? Eine Schande, daß eure Mutter die Wände unbedingt in diesem gräßlichen Rot streichen mußte, oder? Fast wie Blut, nicht wahr? Ihr sitzt an dem großen, runden Tisch mitten in der Küche. Was macht eure Familie immer zusammen am dem Tisch?«
    »Wir haben Familienabende«, sagte Lester. »Jeden Mittwochabend um sieben. Wenn Papi die Nachrichten geguckt hat.«
    »Ihr besprecht auf den Familienabenden familiäre Probleme? Aber seit mehreren Wochen hat kein solcher Abend stattgefunden, oder?«
    »Mama mag nicht mehr mit uns zusammen sein.«
    »Warum denn nicht?«
    »Sie sagt, unsere Sünden reiben wie Schmutz auf sie ab.«
    »Samstag ist Badetag«, meinte Bernard. »Du und deine Schwester, ihr hört etwas. Euer Vater öffnet die Tür seines Arbeitszimmers und kommt heraus. Die Musik ist jetzt lauter als vorher.« Dementsprechend steigerte sich die Lautstärke der Musik in beiden Räumen; Stimme um Stimme fiel in den Chorgesang ein. »Was hat er vor, was glaubst du?«
    »Er will Mama zum Rauskommen überreden.«
    »Wieso denkst du das?«
    »Er probiert's immer wieder. Sie kommt nie, solang sie selbst 's nicht will. Er ist sauer. Er schreit sie durch die Tür an.«
    »Wahrscheinlich hat sie ihm irgend etwas erwidert. Weißt du, was es war? Oder weshalb sie ihr Zimmer nicht verlassen möchte?«
    Lester stand auf und trat zu der Puppe, die seine Schwester darstellte; er streichelte das konturlose Gesicht. Er umschritt sie, musterte sie – mit keiner anderen als der Aufmerksamkeit eines Kindes – von oben bis unten, sah soviel vor Jahren Verlorenes, das er für weitere Zurufe taub zu werden schien.
    »Lester!« schnauzte Bernard schärfer, umklammerte das Mikrofon so inbrünstig, als ob er masturbierte. »Sag mir, weshalb eure Mutter nicht aus dem Zimmer kommen mag.«
    »Sie denkt, wir wollten ihr schaden.«
    »Aber ihr würdet doch eurer Mutter nie etwas antun?«
    Lester gab keine direkte Antwort; einmal berührte er die Puppe noch, ehe er zurückwich. »Sie sagt, wir sind schädlich für ihre Seele.«
    »Weiß sie das von Gott?«
    »Von Jesus, sagt sie.«
    »Ihr Macaffreys seid echt beliebt bei der Heiligen Dreifaltigkeit«, sagte Bernard. »Was redet Jesus deiner Mutter ein?« Lester schüttelte den Kopf; er wollte oder konnte keine Auskunft erteilen. »Deine Eltern schreien sich durch die Tür gegenseitig an? Du und Betsy, ihr schleicht euch zur Küchentür. Ihr könnt hören, was eure Eltern rufen, aber sie nicht sehen.«
    »Betsy kann's.«
    »Was ruft eure Mutter eurem Vater zu?«
    »Daß Papi zuviel Vieh segnet und zuwenig an uns denkt.«
    »Tiere?« wunderte sich Bernard. »Meinst du Jagdhunde, oder was?«
    »Nee.«
    »Du meinst die Viecher in der Krippe, wenn er sie Weihnachten segnet?« Lester preßte die Handteller auf die Ohren, als hätte er vor, sie allem, was er hörte, zu verschließen. »Welches Vieh, Lester? Weißt du's?«
    »Die Leute, die in der Stadt wohnen«, erklärte Lester. »Sie sagt, hätten sie überhaupt irgendwie 'n Recht aufs Dasein, täten sie nicht leben wie Heidern.«
    »Hat Jesus ihr das erzählt? Wie gemein. Ist dein Vater auch dieser Auffassung?«
    »Er meint, sie braucht Hilfe«, sagte Lester. »So wie die Menschen, nur anders.«
    »Gott hilft denen, die sich selbst helfen, habe ich mitgekriegt.«
    »Sie erwidert Papi, Gott hilft, wann Er will.«
    »Sie sondert echte Weisheiten ab«, sagte Bernard. »Und was nun?«
    »Sie fängt zu brüllen an. Bange hat sie keine. Sie schimpft. Beschimpft und verflucht uns.«
    Gestank angebrannten Brots wechselte im Raum den Toastduft ab. »Was brüllt sie denn?« Lester sank auf der weißen Fläche des Fußbodens auf die Knie, als sackte er im scharfen Wind eines Blizzards zusammen, um bereitwillig zu erfrieren. Er schlang einen Arm ums Dreibein der Puppe. Ich handelte ohne vorheriges Überlegen; entriß Bernard einfach das Mikrofon und rief hinein.
    »Lester, hör nicht zu. Nicht. Hör gar nicht hin.«
    Thatcher hielt mir mit der Hand den Mund zu; kaum hatte er mich zum Schweigen gebracht, entwand Bernard mir das Mikrofon. Anscheinend hätte er nicht gezögert, wäre es erforderlich geworden, um es zurückzuerlangen, mir die Finger zu brechen. Während Thatcher sich leicht lockerte,

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