Ambient 03 - Ambient
werden konnte, und daß kein innewohnender Abscheu es entstellen konnte. Selbst die Uneingeweihten fanden die Ausdrucksweise musikalisch.
Enid hob ihre Flasche auf, ich nahm mein Glas, und wir gingen ins Schlafzimmer. Ich zog mich aus und setzte mich aufs Bett. Als sie sich entkleidete, wandte ich mich ab. Seit sie sich die Brüste hatte entfernen lassen, fiel es mir schwer, sie ohne Hemd zu sehen; der Arzt – derselbe Bekannte, der die Nägel implantiert hatte – hatte auf das Ersuchen hin, auch diese Operation vorzunehmen, riesige Narben zurückgelassen. Enid war es auch so recht.
Ein Ambient zu sein, war manchmal unvermeidlich, keinesfalls illegal, oftmals beunruhigend und immer subversiv. Die ursprünglichen Ambienten waren Kinder, deren Eltern vor zwanzig/dreißig Jahren auf Long Island gelebt hatten. Von diesen Originalen gab es weniger als dreihundert, doch schon ehe sie aus anderen Gruppen Zulauf gefunden hatten, waren es allem Anschein nach immer viel, viel mehr gewesen.
Wäre der Unfall nicht geschehen …an jenem windigen Tag war Asche wie Schnee auf den größten Teil der Insel gefallen. In ihrer Weisheit hatte die Regierung den Betroffenen versichert, daß die Wahrscheinlichkeit akuter wie bleibender Schäden verschwindend gering sei. Die Unwissenden und Gutgläubigen führten ihr Leben während der nächsten Jahre wie zuvor weiter. Dann aber traten neue und irreversible Spätschäden auf. In nahezu allen Teilen der Insel wurden Siamesische Zwillinge, Zwerge, Riesen und Mißgeburten jeder Art zur Welt gebracht: armlose, beinlose, nasenlose, augenlose, ohrenlose Kinder; Kinder mit verkümmerten Zwillingsgeschwistern, die halb in ihre Körper eingewachsen waren, knochenlose Schlangenmenschen, hüpfende Kobolde, Albinos, Glotzaugen, Wasserköpfe, Hasenscharten und Körper, deren Form an Hunden, Echsen, Robben und Dickhäuter gemahnten. Nach der alten familienfreundlichen Gesetzgebung gegen den Bevölkerungsrückgang war – und ist – Abtreibung mit schweren Strafen belegt; die ständige Überwachung seitens der Behörden ließ den Eltern nichts übrig als die Kinder zur Welt zu bringen. Nicht viel später traten andere Spätfolgen auf: die Eltern begannen an Krebs zu erkranken, und die Seuche breitete sich aus wie in einem Treibhaus.
Die todgeweihten Eltern nahmen ihre verwachsenen und entstellten Kinder und flohen mit ihnen in die Stadt, wo sie Hilfe und Fürsorge erwarteten, die sie in den kleinen Heimatgemeinden nicht fanden. Sie wurden aufgenommen, weil die Abwanderung für leerstehenden Wohnraum gesorgt hatte; die Regierung aber, die ihre Geburt verlangt hatte, fand es unnötig, sich um ihr Leben zu sorgen. Als die Eltern starben, mußten die jungen Abnormitäten für sich selbst sorgen und schlossen sich zusammen; sie alle kannten sich aus den Behindertenschulen, die ihre Eltern noch für sie ins Leben gerufen hatten, und viele von ihnen waren ungewöhnlich intelligent. Als die letzten Eltern starben, hatte sich die Gruppe der Abkömmlinge längst formiert; ihren Namen hatten sie sich selbst gegeben.
Enid war – wie ich selbst – ein normales Kind der Stadt, doch gab es unter den führungslosen, verwirrten Jugendlichen viele, die im Zusammenhalt der Ambienten Chance und Hoffnung auch für sich sahen; Enid sah früh. Indem sie den Körper in ungefälliger Weise veränderten und dadurch zu Freiwilligen wurden, konnten die Nichtambienten am inneren Zusammenhalt der Gruppe teilhaben und zugleich die Ungerechtigkeit einer Gesellschaft demonstrieren, die Randgruppen bewußt vernachlässigte und ausschloß. Ich für meine Person hielt nicht viel von der dogmatischen Verengung des Denkens, die mit der Absonderung einer Gruppe stets einhergeht.
»Hat deine geschwollene Zunge sich von ihrer Lähmung allgemach erkobert?« fragte sie, als sie die Decke über sich zog.
»Nicht sehr«, sagte ich; mein Glas war leer.
»So halte ich davor, daß du das Licht löschest, Bruderherz.«
Ich schaltete das Licht aus und legte mich auf meine Seite unserer Betten.
»Sprich. Meine Ohren hören den Bettgenossen weinen.«
»Man hat mir einen Vorschlag gemacht«, sagte ich.
»Und derowegen ergibst du dich der Melancholia? Was zwickt dich?«
»Mister Dryden möchte, daß ich seinen Vater umbringe.«
»Erfreuliche Aussicht?« fragte sie nach längerem Stillschweigen. »Bekräftigt durch günstige Vorzeichen?«
»Ich sagte ihm, daß ich es tun werde.«
»Und nun sitzt du auf des Messers
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