Ambient 03 - Ambient
reservierten Wohnung ein – ein gedankenloser Vormieter hatte sie zugesperrt –, und wir gingen hinein. Es war eine regelrechte Dreizimmerwohnung, größtenteils ausgeräumt. Zwei Matten lagen am Boden des Wohnzimmers; in der Küche stand ein Tisch, und in den Wandschränken gab es ein Sortiment von Schachteln und Dosen mit stark gezuckerten Frühstücksflocken und Mineralwasserflaschen. Enid nickte zu den vorhanglosen Fenstern.
»Schau hinaus«, sagte sie. »Sieh das Schmorgericht mit giftigem Licht brennen!«
Wir waren so hoch oben – verglichen mit unserem letzten Aufenthalt –, daß die Luft so klar wie poliertes Glas schien, mochte der Eindruck auch illusorisch sein. Wolken zogen um die Türme Manhattans, als stiegen sie aus Weihrauchfässern. Die Stadt sah aus, wie sie aus der Ferne oder auf Fotos immer aussah – schön und still und herzerwärmend. Wir machten es uns in solchen Halluzinationen bequem und hielten unser Festmahl.
»Was wirst du tun?« fragte ich Enid, als ich den Inhalt einer Packung Frühstücksflocken in mich hineingeschaufelt hatte. Als ich die nächste Schachtel aufmachte, verdrängte ich den Gedanken daran, welche Chemikalien mir die Gedärme verkrusteten.
»Nach Haus und zu Bett, nach so späten unliebsamen Szenen«, sagte sie. »Sehen, was läuft. Besucher fortschicken, die auf deine Rückkehr warten.«
»Sei vorsichtig«, sagte ich.
»Furcht überwältigt wie Galle, wenn der Fluß nicht verstopft wird, Seamus«, sagte sie. »Wir werden warm in Morpheus' Arme sinken, bis wir mehr von dir hören. Klar?«
»Aber etwas ist im Gange. Wie, wenn …«
Margot saß auf dem Fensterbrett und starrte über die Stadt hin, als ob es ihr durch angestrengtes Starren gelingen könnte, sie endlich zum Verschwinden zu bringen.
»Zum Reden ist später Zeit«, sagte Enid. »Tue, wie du beliebst! Halt Augen und Ohren offen! Die wilden Seelen, die hier schweifen, verraten eine Schlauheit, die gerüstet ist, dich bald aus dem Jammertal zu stehlen.«
»Nicht, wenn ich es verhindern kann«, sagte ich und überlegte, ob ich es konnte.
»Mit der Zeit kommt alles, Gutes und Böses. Wie die Dinge sich auch wenden mögen, ich gehe meines Wegs. Comprendes?«
Ich nickte.
»Reitet dich der Alptraum?«
Ich schüttelte den Kopf. »Nein. Aber es wird nicht die Stunde der Amateure sein.«
»Noch gehen Amateure«, sagte sie. »Wenn die Fährte verwischt ist oder in die Irre führt, stehen unsere Toten im Geiste nah, deine Hände zu fassen. Der Zufall darf nicht mehr bestimmen, Seamus. Arbeite mit Täuschung und Betrug! Nimm deine Hände und greif zu!«
»Wenn es nichts zu greifen gibt?«
»Dann greif so gut, als ob es gäbe!« sagte sie. »Am Ende kommt es auf das Tun an, nicht auf das Bekommen. Und ich denke jetzt, daß wir uns am besten hinauspacken.«
»Gib acht!«
»Auf Engelsflügeln bleibt alle Furcht weit zurück.«
Ich begleitete sie hinaus, hörte ihre Stiefel und das Klappern von Margots Schuhnägeln, als sie zur Treppe gingen. Avalon hatte eine Matte in die Mitte des Wohnzimmers gezogen. Die Wohnung lag an der Schmalseite des Gebäudes, und die Aussicht aus dem Fenster öffnete sich nach Osten. Ich blickte hinaus, vorbei an den umgebenden Hochhäusern, die größtenteils im Dunkeln lagen, wenngleich in manchen Geschossen flackernder Kerzenschein die Anwesenheit illegaler Bewohner verriet.
»Sieh dir den Himmel dort draußen an, Schamlos«, murmelte Avalon. Sie hatte sich auf die Matte gelegt und die Stiefel ausgezogen.
Im Osten, jenseits der Hochhäuser, verschmolzen die Farben zu einer diffusen und wundervoll leuchtenden Morgenröte. Der karmesinrote Himmel ging nahe dem Horizont in ein Ockergelb über, vor dem sich die Stummel und Stümpfe von Brooklyn scharf abhoben. Verunreinigungen vertieften die natürlichen Töne des Himmels, doch verminderte die Kenntnis der Ursache in keiner Weise die Wirkung. Flammenfontänen erhoben sich, versprühten ihr Licht an verstreuten Punkten entlang der sichtbaren Länge der Stadt, als hätten Brooklyns Stadtväter den Wunsch gehabt, ihr Gemeinwesen mit aufsehenerregenden Springbrunnen auszustatten, es aber nicht ganz richtig hinbekommen.
»Wie fühlst du dich?« fragte ich sie vom Fenster aus. Ich konnte mich von dem Anblick nicht losreißen; es war, als blickte ich in ein Kaminfeuer.
»Müde«, sagte sie. »Ich dachte nicht, daß wir es schaffen würden.«
»Ich auch nicht«, sagte ich und unterließ den Hinweis, daß wir es noch immer nicht
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