Ambient 03 - Ambient
Gestrüpp und kam auf die Straße. Auch hier war alles menschenleer.
Ich sah keine andere Wahl. In der Hoffnung, daß sie wenigstens noch lebte, zog ich mein drahtloses Telefon aus dem Mantel und drückte die Nummer, die mich direkt mit Mister Drydens Arbeitszimmer verband.
Es summte zweimal, bevor abgenommen wurde.
»Dryden«, sagte er.
»Ich bin es.«
Er blieb still; ich lauschte angestrengt, um zu hören, ob er anderen im Raum etwas zuflüsterte.
»O'Malley«, sagte er. »Wo?«
»Innenstadt.«
»Sicher?«
»Klar.«
»Gefahr im Verzug. Vorsicht.«
»Wo ist Avalon?«
Wieder machte er eine Pause. »Erwarte Sie Dryco. Jetzt. Dringend.«
»In Ordnung.«
»Inkognito«, sagte er. »Brückenhauptquartier. Karte gebrauchen.«
»Wer?«
»Oberst Willis. Er schafft Sie her.«
»Ist Avalon in Sicherheit?« fragte ich.
»Wir werden sehen«, sagte er. »Ich warte. Beeilung!«
»In Ordnung.«
Er legte auf und ließ mich noch besorgter zurück. Die restlichen Scherben meines Optimismus zusammenklaubend, folgerte ich aus seinen letzten Worten, daß er warten würde, bis ich zu ihm käme, bevor er ihr etwas antun würde. Ohne einen Augenblick des Zögerns hatte ich entschieden, daß sie, sollte man ihr die Schuld am Mißlingen des Anschlags geben, nicht allein die Folgen tragen würde. Waren wir jetzt schon auseinandergerissen, so mochten wir wenigstens am Ende wieder vereint sein. Zu Fuß konnte ich das Brückenhauptquartier durch die Henry Street in zwanzig Minuten erreichen; so sehr es schmerzte, legte ich die Strecke im Laufschritt zurück und hielt nur an, um wieder zu Atem zu kommen. Als ich mich der alten Manhattan Bridge näherte, die mit stets eingeschalteten Scheinwerfern wie für einen Festtag behängt war, sah ich Hubschrauber herüberknattern, die die Lebenden und die Toten von Brooklyn und Long Island transportierten; einige flogen bei der Annäherung durch den Bogen des nächsten Brückenturmes.
Das Brückenhauptquartier – im letzten Jahr der Ebbe auf Land errichtet, das auf Regierungsanordnung freigeräumt worden war – nahm das Gelände zwischen der Manhattan und der Brooklyn Bridge ein; es war der Kontrollzone Untere Stadt benachbart, gehörte aber nicht zu ihr. Die Soldaten hatten ihre Unterkünfte in alten, aus Ziegeln gemauerten Hochhäusern, deren Zustand weniger schlecht als derjenige der Häuser war, in denen wir die vergangene Nacht verbracht hatten. Zum Hauptquartier gehörte ein Flugplatz, ein Feldlazarett – untergebracht im alten Polizeihauptquartier, das in die Stadtmitte verlegt worden war – und die traditionellen Einrichtungen aller Militäranlagen: Zäune mit Stacheldrahtrollen, eine Entwöhnungsstation für Suchtkranke, Krankenrevier und Krematorium.
Jeden Monat trafen Neuankömmlinge in New York ein, frisch und unerfahren aus den Militärlagern im Süden, wo sie ihren Grundwehrdienst abgeleistet hatten, bereit, ein Jahr Heimatdienst zu tun, bevor sie die Wahl hatten, sich nach Übersee versetzen zu lassen. Jede Gruppe wurde nach ihrer Ankunft aufgeteilt: ein Viertel wurde der Zentralen Kommandoeinheit Manhattan zugeteilt; drei Viertel fanden sich in den Einheiten wieder, die über Long Island verteilt waren. Militärische Quellen bezifferten die durchschnittliche Verlustrate der auf Long Island stationierten Einheiten mit sechzig Prozent; inoffizielle Quellen nannten höhere Zahlen. Die Theorie der Regierung war, daß diejenigen, die den Feldzug auf Long Island ein Jahr überlebten, auf ausländischen Schlachtfeldern keine Schwierigkeiten haben sollten; und daß Amerikaner, hatten sie sich einmal daran gewöhnt, Amerikaner zu töten, keine Bedenken haben würden, irgendwelche anderen Nationalitäten umzubringen.
Der nördliche Eingang befand sich in der Mitte der Henry Street unter der Brücke. Vier Armeejungen brachten ihre Gewehre in Anschlag, als ich auf sie zu kam, und zielten auf meinen Kopf. Ich hob die Hände so hoch ich konnte, ging langsam näher und wedelte mit meiner Drydenkarte.
»Halt!« kreischte einer, nachdem ich haltgemacht hatte. »Besuchszweck? Pronto.«
»Dryco«, antwortete ich. Ein anderer kam herübergeschlendert, pflückte mir die Karte aus der Hand. Er war alt für einen gewöhnlichen Soldaten; siebzehn oder so, und ich war sicher, daß er seinen Gestellungsbefehl abgewartet hatte, statt den Stier früher bei den Hörnern zu packen. Heutzutage – in meinen jüngeren Jahren war es lockerer gewesen – konnte man sich nach dem fünfzehnten
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