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Ambient 04 - Terraplane

Ambient 04 - Terraplane

Titel: Ambient 04 - Terraplane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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hohe Extamyldosis war, die meine sofortige Infektion wahrscheinlich begünstigte, selbst wenn sie keinen Einfluß auf den Verlauf der Krankheit hatte, der vermutlich rapide ist.«
    »Ich hatte Diodin …«, sagte Jake. Sein Gesicht war verkniffen.
    »Bei Diodin gibt es keine derartigen Nebenwirkungen«, sagte sie. »Es ist denkbar, daß Diodin sogar eine Stärkung des Immunsystems bewirkt. Oder sogar zeitweilige Immunität bietet?« Blutergüsse fleckten ihre Arme und Handgelenke, wo ständig beanspruchte Muskeln Kapillargefäße brechen ließen. An einem Ellbogengelenk war eine Ader geplatzt und hatte einen Rorschach-Klecks hinterlassen. »Jake, du zeigtest kluge Fürsorge und handeltest richtig. Es besteht kein Grund, daß du dir Vorwürfe machst.«
    Während sie Jake so das Urteil sprach, sah sie ihn voll an; in seinem so ausdruckslos scheinenden Gesicht erkannte ich allzu deutlich die innere Anstrengung, Gefühle zu unterdrücken. Gute Absichten waren immer tödlich, oder doch oft genug, um jedem Samariter zu denken zu geben. Ich selbst hätte von da an in jedem Spiegel einen Mörder gesehen, verdient oder nicht; was er sehen mochte, blieb mir verborgen. Er tätschelte ihr unbeholfen die Hand, als befürchtete er, für diese Schaustellung von Zärtlichkeit niedergeschlagen zu werden.
    »Dies erklärt so vieles«, fuhr sie fort. »Die unzuträgliche Energie und die euphorischen Gefühle am Anfang. Ich bin so müde. Gib mir etwas zum Schreiben, Jake. Ich sollte aufsetzen, was ich zu bieten habe.« Ihr linkes Auge war rot vom Blut einer geplatzten Ader. Die Überschrift einer ganzseitigen Anzeige in der aufgeschlagenen Zeitung zu meinen Füßen verkündete:
     
    WIR ALLE INTERESSIEREN UNS
    FÜR DIE ZUKUNFT
    Denn dort werden wir den Rest
    unseres Lebens verbringen.
     
    Das hoffte ich; es schien unwahrscheinlicher denn je.
    Wanda stand noch immer allein auf der Sonnenveranda und blickte zwischen verbogenen, rostigen Rolläden hinaus zum Ozean. Ich ging zu ihr und ließ Jake und Oktobrjana noch eine kleine Weile allein miteinander.
    »Wie geht es Ihnen?« fragte ich.
    »Es ist mir schon besser gegangen«, sagte sie, meinem Blick ausweichend. »Es tut weh, hier zu sein.«
    Es tut uns beiden weh, dachte ich in der Erinnerung an den Hinterhalt, in den wir geraten waren, als wir uns vor so langer Zeit Southampton genähert hatten. Wir nahmen in aufgelöster Formation beiderseits der Straße Aufstellung und schickten unsere Botschaften ab. Die Mehrfachwerfer nahmen alles unter ihr Raketenfeuer, was in Reichweite war. Aus den Stellungen, die von Phosphorbrandsätzen getroffen wurden, sprangen sie wie Leuchtkugeln. Wir fühlten, wie die Erde erzitterte, als unsere Artillerie loslegte. C 380-Jagdbomber fegten über uns hinweg, trugen Napalm ostwärts, die Wunden der Dissidenten auszubrennen. Diese revanchierten sich mit wohlgezieltem Infanteriefeuer. Wir verloren zehn Mann beiderseits der Straße, ohne daß wir unserem Ziel näher gekommen wären.
    »Luther«, sagte sie und riß mich aus meiner Betrachtung. »Wo sind Sie?«
    »Verzeihung«, sagte ich. »In Tagträumen.«
    »Ich wünschte, ich wäre wie Sie alle, in einer Weise.«
    »Was ist gemeint?«
    »Ich würde nichts davon fühlen«, sagte sie. »Es wäre soviel leichter.«
    »Fühlen? Was fühlen?«
    »Das ist genau, was ich meine. Sie fühlen nichts, oder? Emotionen, meine ich. Sie haben das alles irgendwie abgestreift, sind stromlinienförmig geworden. Es kommt mir so vor, als hätten Sie es ohne sie leichter.«
    »Sie sind da, die Gefühle«, sagte ich und sprach dabei wenigstens für mich selbst; aber im weiteren Sinne hatte sie recht. »Wir vergraben sie tief genug, daß sie nicht wieder hochkommen.«
    »So tief kann ich sie nicht hinunterbringen«, sagte sie. »Es ist eng hier drinnen.«
    »Gehen wir nach draußen«, sagte ich. Sie nickte, und wir verließen die Veranda. Niemand sprang aus dem Gebüsch, uns zu begrüßen, als wir uns zeigten; keine Schüsse bliesen uns die Gehirne heraus. Wir schlenderten dahin, achtlos wie Eisberge. Der verwilderte Garten war mit brusthohen Stauden und Gräsern überwachsen; die schwachen Spuren einstiger Kieswege und die geneigte Platte einer Sonnenuhr in der Mitte zeigten, wo einmal planvolle Anordnung gewesen war. Über dem Strand kamen wir an die natürliche Felsbank eines Schichtenkopfes und setzten uns. Blaue und weiße Schmetterlinge wehten vorbei wie Papierschnitzel über einem Feuer; ich hatte seit meiner Jugend keinen

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