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Ambient 04 - Terraplane

Ambient 04 - Terraplane

Titel: Ambient 04 - Terraplane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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redete mit ihr, als wäre sie eine dreckige Hündin. Eines Abends hatten wir gerade den Ortsrand von Waycross erreicht und schlugen unser Lager auf. Wir hatten einen großen Topf mit Maisbrei auf dem Feuer. Robert kam herüber und fing an, über sie herzuziehen. Sophie sagte kein Wort, nahm bloß diesen Topf mit kochendem Maisbrei und stülpte ihm Robert über den Kopf. Hatte an Kopf und Brust keinen Fetzen Haut mehr. Sophie lief in derselben Nacht davon.«
    Wanda lächelte, runzelte die Stirn. »Hab' sie nie wiedergesehen.«
    »Doc handelte nicht so …«, sagte ich, aber es war keine Frage; ich wußte die Antwort bereits.
    »Norman war immer ein guter Mann. Ich sagte ihm hinterher, was geschehen war. Er machte mir nie einen Vorwurf, sprach niemals auch nur davon. Was ihn tief schmerzte, war, daß ich das Kind verlor«, sagte sie. »Zu viele Onkel, nehme ich an.«
    »Sie meinen, Sie waren damals schwanger?«
    »Im sechsten Monat«, sagte sie. »Wenn wir ein zweites Kind hätten haben können, wäre es uns lieb gewesen, aber wir konnten nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Nachdem er in der Fabrik in Atlanta diesen Streik mit angestiftet hatte, gaben sie ihm eine Strafe«, erzählte sie. »Daß sie ihn nach Kuba schickten, war noch das geringere Übel. Das Schlimmere war, daß sie dafür sorgten, daß er keine Kinder haben konnte. So sehr sie neue Arbeitskräfte brauchten, sie wollten keine von schlechtem Stamm, wie sie es ausdrückten. Die meisten Eigentümer kamen aus der Landwirtschaft und kannten sich mit der Zucht von Rindern und Pferden aus. Wollten aus unserer Rasse durch Zuchtwahl auch zu besseren Arbeitstieren kommen. Die verdammten Schinder wußten nicht, daß ich bereits schwanger war, und ich sagte es ihnen nicht.« Sie seufzte, und ihre Stimme wurde tiefer, als sie weitersprach. »Er hatte den Stimmwechsel bereits hinter sich, aber ein Bart wuchs ihm danach nie. Das störte ihn. Er sagte, es sei nicht so schmerzhaft gewesen, wie er gedacht habe, denn sie hätten ihm vorher eine Morphiumspritze gegeben und danach noch drei Wochen lang, nur um sicher zu sein. Es war schlimm für ihn, als sie es absetzten, und er kam nie mehr ganz davon los. Jeden Freitagabend, wenn er vom Krankenhaus in East Orange nach Haus kam, ging er ins Bad und verpaßte sich eine Spritze. Aber niemals öfter als einmal in der Woche. Gerade genug, um ihm bis zum nächsten Mal weiterzuhelfen.«
    »Und so kamen Sie nach Norden …«
    »Alle gingen damals nach Norden, außer denen, die schon zu niedergeschlagen waren. Und als sie nach Norden kamen, entdeckten alle, daß sie, wenn sie arbeiten wollten, für dieselben Leute arbeiten mußten, denen sie früher gehört hatten, bloß mußten sie jetzt für ihre Hütte und ihr Essen bezahlen.« Ihre Augen brannten, als sie auf den Ozean hinausblickte, aus einem Heim, das sie nie besessen, zu einer Heimat, die sie nie gekannt hatte. »Scheiße. Zuerst raubten sie uns, schleiften uns in Ketten hierher. Ließen uns zu Tode schuften. Brachten unsere Säuglinge um. Schließlich ließen sie uns laufen – an einer langen, langen Leine. Wenn wir uns zu weit entfernen, ziehen sie daran, bis wir ersticken. Der Tag, als die Börse zusammenbrach, war der glücklichste Tag meines Lebens. Laß alles zusammenkrachen, dachte ich. Laß alles brennen! Mal sehen, wie es ihnen gefällt.«
    Sie zündete sich eine weitere Zigarette an, schoß Rauch durch die Nasenlöcher.
    »Sie kennen die Zukunft, Luther. Was wird mir entgehen?«
    »In diesem September beginnt der Zweite Weltkrieg, der mehr als fünfzig Millionen Opfer fordern wird.«
    »Kann ich mir denken«, sagte sie. »Hat es nicht schon genug Tote gegeben?«
    »Im Krieg behauptet jede der beiden Seiten, sie kämpfe für das Gute und gegen das Böse, und darüber werden sie einander immer ähnlicher«, sagte ich. »Aber der Zweite Weltkrieg findet nicht nur drüben in Europa statt. Japan greift Ende 1941 Hawaii an, mit Schiffen und Flugzeugen …« – ich mußte lachen, als es mir einfiel – »die aus dem Schrott der Hochbahnbrücke in der Sixth Avenue gebaut worden waren. Eine Bombe …«
    »Japaner?« fragte sie. »Gut.«
    »Gut?«
    »Sie sind farbige Leute«, sagte sie. »Nicht wahr?«
     

10
    Ein plötzlicher Ruf vom Haus schreckte uns auf. Wir wandten uns um und sahen Jake, der in den Garten herausgekommen war.
    »Er ist in Bewegung«, rief seine vom Wind verwehte Stimme. »Sie denkt, sie hat etwas.«
    »Was zeigt sich?« fragte ich, als wir ihn

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