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Ambient 04 - Terraplane

Ambient 04 - Terraplane

Titel: Ambient 04 - Terraplane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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mit tastendem Licht; ich blieb gebettet, denn zu frühes Aufstehen würde mir die Wirklichkeit nur wieder zu hart um die Ohren schlagen, und zu bald. Das Um-die-Ohren-Schlagen war bereits im Gange, wie ich hörte; Oktobrjana stöhnte in Schmerzen, Schmerzen der Krankheit und Schmerzen der Erkenntnis. Bald darauf hörte ich tiefes und ersticktes Schluchzen, als Jake ihr erklärte.
    Nach dem Aufstehen erfrischten wir uns, so gut wir konnten, und kamen im Wohnzimmer zusammen. Jake und ich hörten Oktobrjana zu, während Wanda auf die Sonnenveranda hinausging. Möglicherweise als Reaktion auf die Schmerzen, die sie jetzt hatte, schien sie ihren Verstand auf die Umstände ihrer Lage konzentriert – und nun, da sie wußte, von welcher Art diese Lage war, auf die sich daraus ergebenden Schlußfolgerungen. Und so gelang es ihr mit der Kraft ihres Verstandes, den Körper so in den Griff zu bekommen, daß ihre vielfältigen Gedanken jetzt klar und logisch geordnet kamen. Auch ihr Englisch war jetzt vollkommen, wenn auch zuweilen überladen mit wissenschaftlichem Jargon. Sie lag auf der Couch, die Arme um die angezogenen Knie gelegt, und sprach wie zu sich selbst.
    »Dann muß der Erreger, wie es scheint, ein Retrovirus von hoher Mutabilität und unbekanntem Ursprung sein. Der Schauplatz seines ersten Auftretens ist insofern interessant, als es unmöglich sein würde, die Wahrscheinlichkeit eines Zusammenhanges mit dem Meteoriteneinschlag in der Steinigen Tunguska in Sibirien 1908 zu widerlegen – vorausgesetzt, es hat hier ein vergleichbares Ereignis gegeben …«
    »Haben Sie eine Ahnung, ob eine Heilung möglich ist?« fragte ich.
    Ihre Halssehnen traten hervor, als wollten sie sich losreißen. »Hier wird man noch lange keine finden«, sagte sie. »Selbst mit erweiterten geistigen Fähigkeiten kann ich ohne Zugang zu einem Computer, mit dessen Hilfe sich alle bekannten Variablen abschätzen ließen, nicht mehr als mutmaßen. Millionen von Möglichkeiten müßten bei einer so eigentümlichen und unbekannten Krankheit wie dieser überprüft werden. Es gibt zu viele Ungewißheiten. Warum der Virus sich bösartig manifestiert. Warum die Inkubationszeit so extrem kurz sein kann. Warum neurologische Funktionen im Anfangsstadium der Krankheit so intensiviert sein können.« Sie machte eine Verschnaufpause; blaue Blutergüsse zeigten sich an ihren Handgelenken. »Warum habe ich es, Sie aber nicht? Die Krankheit scheint unter der Bevölkerung so weit verbreitet zu sein, daß die Ansteckung durch die Atemluft erfolgen könnte. Aber auch in solch einem Fall wird es immer in mehr oder minder großem Umfang Immunität geben. Was hat bewirkt, daß Sie soviel Glück haben, und ich soviel Unglück?«
    »Warten wir's ab«, sagte ich. »Vielleicht haben wir etwas Schlimmeres, was sich noch nicht gezeigt hat. Oder wir wurden angesteckt, nachdem Doc seine Tests gemacht hatte.«
    »Ich bezweifle, daß es etwas Schlimmeres gibt«, sagte sie. »Und wenn es auch durchaus möglich ist, daß das Virus in Ihrem Blut aufgetaucht ist, seit die Tests gemacht wurden, sollte man annehmen, daß Ihre Reaktion von der meinigen nicht so sehr verschieden sein würde. Mögliche unbekannte präventive oder immunisierende Faktoren sind hier am Werk.« Als sie sich mit der Hand durchs Haar fuhr, fielen lange Strähnen aus. Pickel erschienen auf ihren Wangen und an ihrem Hals; der Stoffwechselhaushalt geriet in Unordnung. »Diese Krankheit würde im umfassenderen Sinne soviel faszinierender sein, wenn ich sie nicht hätte.«
    »Es gibt keine mögliche Einwirkung?« fragte Jake. Seine unversehrte Hand bearbeitete die staubige Armlehne, wie um sie loszureißen. Obwohl er sich nichts anmerken ließ, warnte seine von Frustration aufgerauhte Stimme, daß er am Rand eines plötzlichen Ausbruchs stand. »Nichts zu machen?«
    »Zurückkehren. Das ist, was getan werden muß«, sagte sie. »Andernfalls können wir genausogut ins Wasser gehen, einer nach dem anderen.«
    Die Situation schien so unerträglich, daß ich mich in anderes verlieren mußte; die Morgenzeitungen lagen nahebei. Ich hob sie auf, überflog die Schlagzeilen, las aufmerksamer. Sie mußten meinen verständnislosen Blick bemerkt haben.
    »Was gibt es?« fragte Jake. »Was hört man über den großen Mann?« sagte er, als er geäugt hatte, was ich las. WO IST STALIN? fragte die News. KREML RÄUMT VERSCHWINDEN DES STAATSOBERHAUPTES EIN, schrieb die Times und setzte als Unterzeile hinzu: Stalin zuletzt

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