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Ambient 04 - Terraplane

Ambient 04 - Terraplane

Titel: Ambient 04 - Terraplane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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lebenden Schmetterling mehr gesehen. Vogelrufe ertönten; ich äugte aufwärts und sichtete eine gefiederte Wolke landeinwärts durch den Himmel ziehen, nach Osten. Kein Ornithologe, ich.
    »Was für Vögel sind das?«
    »Wandertauben«, sagte sie. »Man hat irgendwo hier draußen ein Schutzgebiet für sie ausgewiesen, weil sie vom Aussterben bedroht sein sollen. Als ich klein war, flogen jedes Jahr große Schwärme von ihnen, und die Männer warteten, bis sie sich in den Bäumen niederließen. Dann schlugen sie sie mit langen Stöcken herunter. Meine Großeltern erzählten mir, daß die Wandertaubenschwärme stundenlang die Sonne verdunkelten, wenn sie auf dem Durchzug waren.«
    »In unserer Zeit sind sie seit mehr als einem Jahrhundert ausgestorben«, sagte ich.
    Sie zuckte die Achseln. »So ist das Leben. Sowieso nur verdammte Vögel, aber Gott gab ihnen trotzdem einen Platz auf der Welt, um zu leben. Aber was haben die Weißen gemacht? Sie haben den Bison ausgerottet. Haben die Indianer ausgerottet. Am liebsten würden sie auch alle Farbigen umbringen, wenn sie damit durchkämen. Aber diese Vögel versuchen sie zu retten.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich glaube, für die ist es auch zu spät.«
    Minutenlang beobachteten wir die einlaufenden Brandungswellen, wie sie zusammenbrachen und den Strand mit Schaum bedeckten, gefolgt von der nächsten Wellenfront. Das Morgenlicht überhauchte alles mit sanften Goldtönen.
    »Haben Sie früher einmal den Verlauf der Krankheit gesehen?« fragte ich.
    »Jeder hat ihren Verlauf gesehen. Meistens geht es nicht so schnell wie bei dem Mädchen. Zwei meiner Brüder starben daran.«
    »Das tut mir leid«, sagte ich. »Ging es schnell?«
    »Weiß ich nicht«, antwortete sie. »Ich war nicht bei ihnen, und meine Schwester hat nie viel gesagt. Sie waren in Georgia geblieben, und ich wäre nicht für viel Geld dorthin zurückgegangen.«
    »Doc sprach erst gestern von der Vergangenheit«, sagte ich. »Erzählte Geschichten aus dem frühen Leben.«
    Sie nickte wieder. »Ihre Großeltern müssen Ihnen ähnliche Geschichten erzählt haben«, meinte sie. »Vaters Vater besaß drei Leichenhallen; Mutters Vater war Präsident der Citibank, bis zur Wirtschaftskrise.«
    »Er erzählte mir, daß Sie in Kuba waren«, sagte ich. »Hatte keine Gelegenheit, Einzelheiten zu berichten …«
    Wanda zündete sich eine Zigarette an, nachdem sie sie zwischen den Lippen gerollt und das Ende befeuchtet hatte. »Wir waren nicht lange dort. Nicht so lang wie andere.«
    »Muß schlimm gewesen sein.«
    »Dort war es schlecht, ja«, sagte sie. »Aber nach Hause zu kommen, das brachte uns beinahe um. Das war das Schlimmste davon.«
    »Ich fragte Doc, wie Sie die Rückkehr bewerkstelligten, aber er ging nicht darauf ein.«
    Sie lächelte. »Das kann ich mir denken. Norman dachte immer, er würde es auf lange Sicht schaffen, nach oben zu kommen, und vielleicht hatte er recht. Wir beide hatten es schwer, zurückzukommen, aber wir schafften es. Viele andere schafften es nicht. Heute kommt es mir beinahe so vor, als wäre es anderen geschehen«, sagte sie, inhalierte den Rauch, wie um die durchgebrannten Schaltkreise der Erinnerung wiederzubeleben. »An diesem letzten Morgen weckten sie uns um fünf, wie gewöhnlich, ließen uns vor den Baracken antreten, wie sie es immer taten. Sonst bekamen wir um diese Zeit unsere Arbeit zugewiesen, und damit hatte es sich dann. Aber an diesem Morgen sagten sie nur: ›Ihr seid frei.‹ Machten kehrt und gingen zurück ins Büro.
    Gut. Wir standen da und sahen einander an, als träumten wir vielleicht. Je länger wir dastanden, desto klarer wurde uns, daß wir nicht träumten. Aber uns beschäftigte, was genau sie damit gemeint hatten, und nach einer Weile gingen Norman und ich und noch ein paar zum Büro, uns zu erkundigen. Wir waren jung, das darf man nicht vergessen.«
    »Erklärten sie?«
    »Nachdem wir sie gefragt hatten, sagten sie, daß Mr. Roosevelt uns freigelassen habe und wir nicht mehr ihnen gehörten. Sagten, es gefiele ihnen genausowenig wie uns, aber sie hätten keine Wahl. Ein paar von den Dummköpfen fragten, ob wir nicht für die Gesellschaft weiterarbeiten könnten, aber sie sagten uns, die Gesellschaft sei von der Regierung übernommen worden. Die wolle einen Musterbetrieb daraus machen. Da hätten sie sich weiß Gott keine bessere Firma aussuchen können. Wir fragten, wie wir denn nach Hause kommen sollten? Das wußten sie nicht. Sagten, sie würden die

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