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Ambient 04 - Terraplane

Ambient 04 - Terraplane

Titel: Ambient 04 - Terraplane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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öffneten sich Blicke auf den Fluß. Unten am Wasser, jenseits einer mit Hochhäusern bestandenen Straße, erhoben sich schattenhafte schwarze Umrisse, die nach ihrer Form nur Schiffe sein konnten. Zur Rechten lösten die unrenovierten Mietskasernen der Ninth Avenue die Elendssiedlungen ab; nur die Gesimse der abgenutzten Fassaden und die brettervernagelten Geschäfte lagen im Schein der Straßenlaternen. In der Mitte der Avenue stand eine Reihe eiserner Bäume mit ausgebreiteten Ästen. Entlang ihren vereinten Zweigen kroch eine Straßenbahn stadtauswärts. Blöcke entfernt standen einige wenige kenntliche Gebäude: Das Empire State, Chryslers Wolkenkratzer, Drycos alter Klotz, jetzt wie er einst gewesen war, das RCA-Gebäude. Am Himmel über uns, soviel breiter als in unseren Tagen, schienen Sterne zu stehen.
    »Scheiße«, sagte Doc frontwärts äugend. »Jetzt sind wir in der Suppe. Fangen Sie nicht an, über irgendwas zu quatschen. Verstanden?« Eine Straßenlaterne an der nächsten Ecke brünierte die glatten schwarzen Karosserien von zwei Streifenwagen mit blassem Gold; auf den Dächern rotierten rote Lampen. »Der Tanz geht los«, sagte Quarles in einem Flüsterton, der dem Gemurmel eines Bauchredners glich. »Hoffentlich kann ich diese Hanswurste einwickeln.«
    Wir hielten im Leerlauf. Der Polizist, der gemächlich auf uns zuging, strahlte Gefahr aus. Weiß wie der Mond, breit wie ein Faß, über zwei Meter groß, trug er eine Schirmmütze und eine dunkle Uniform mit versilberten Knöpfen. Sein einziges Werkzeug waren Pistole und Gummiknüppel; der Ausdruck träger Brutalität in seinem Gesicht ließ darauf schließen, daß ihm der Gebrauch dieser Dinge so natürlich war wie das Essen und Trinken. Bei meinen früheren Kampfeinsätzen auf Long Island waren Leute wie er gewöhnlich die ersten gewesen, die es erwischt hatte. Beim Herankommen klopfte er mit dem Gummiknüppel an die Wagenseite, dann beugte er sich zur Tür, die Ellbogen aufs Dach gestützt. Doc, in dessen Lächeln drei Goldzähne blitzten, kurbelte das Fenster herunter.
    »Irgendwohin unterwegs, Junge?« fragte der Polizist und spähte herein; sein Lächeln hatte etwas Bedrohliches. »Ah, schwierig, Sie in der Dunkelheit zu sehen, Doc. Wie geht's?«
    »Gut, Sir. Bin zufrieden, Sir«, lachte Doc. Seine echte Sprache, wie wir sie zuvor gehört hatten, war ein gleichmütiger Bariton gewesen; jetzt, als er zum Polizisten sprach, ging er eine Oktave höher und stimmte einen Ton beflissener Harmlosigkeit an, beinahe blökend in dem Verlangen, nichts als gefällig zu sein. Beide benahmen sich wie Schauspieler mit Bühnenerfahrung, die für ein unsichtbares Publikum agierten. Er zog ein Papier aus der Brieftasche und übergab es; der Polizist leuchtete mit der Taschenlampe darauf. »Bin drüben in East Orange gewesen, Sir. Jeden Freitagabend, wissen Sie. Diese Krankenhausarbeit wird nie weniger.«
    »Wen haben Sie bei sich?« fragte der Polizist und blendete uns mit seinem scharfen Lichtkegel. »Patienten?«
    Doc schlug mich schulterwärts und erzeugte Schmerzen – zweifellos seine Absicht. »Ja, Sir. Das ist ein guter Witz. Patienten!« Er stieß ein fast psychotisches Lachen aus, das Schlagrahm hätte gerinnen machen können. »Das hier ist mein Vetter Luther«, sagte er und schlug mir wieder auf die Schulter. »Hatte ihn heute abend mitgenommen, daß er mir ein bißchen hilft, Sir. Mußte in der Pockenstation arbeiten.«
    »Pocken?« sagte der Polizist bedächtig. »Dann kann er da sitzen bleiben. Aber die beiden auf den Rücksitzen sind keine Patienten. Wer sind sie?«
    »Dr. Jake«, sagte Doc, dessen gewandter Umgang mit dem Drehbuch beeindruckte, »und seine … ah … Krankenschwester. Einmal in der Woche kommt er zur Inspektion zu uns, Sir.«
    »Aufpassen, daß Sie nicht die falschen Beine abschneiden?«
    Docs Lenkradumklammerung festigte sich während seines neuerlichen Lachanfalls so, daß ich dachte, er könnte es entzweibrechen. »Es ist eine kitzlige Situation, Sir, wissen Sie. Die beiden wohnen hier in der Stadt, aber sie leben nicht zusammen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    »Ich verstehe.«
    »Nun, Sie feierten ein bißchen, als sie Feierabend hatten, verstehen Sie, und ich glaube, sie feierten mehr, als sie beabsichtigt hatten …«
    »Sehen aus, als hätten sie in einem Sumpf gefickt, die beiden«, sagte der Polizist. »Was ist ihr Problem?«
    Doc beugte sich weiter hinaus, blickte umher, als ob die Verschwörung in Gefahr wäre,

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