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Ambient 04 - Terraplane

Ambient 04 - Terraplane

Titel: Ambient 04 - Terraplane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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Dokuments verriet, daß das Innenministerium Herausgeber war: das Papier war viel feiner als das, welches für unser Papiergeld verwendet wurde; die Stahlstichgravierung des Amtssiegels schien von Meisterhand zu stammen, so viele feine Einzelheiten enthielt es, ganz im Gegensatz zu dem einfachen Adlerprofil auf den Verlautbarungen unserer Regierung
     
    Norman Quarles ist aufgrund seiner Berufstätigkeit als Arzt in der Zeit von 1. November 1938 bis zum 31 Oktober 1939 ungehinderter Transit zwischen den Staaten New York und New Jersey zu gewähren.
    Unterschrift und Dienstsiegel.
     
    Neben der Faksimileunterschrift des Staatssekretärs im Innenministerium war die Gegenzeichnung von Vizepräsident Knox. Das Dokument rief mir die alten internen Pässe ins Gedächtnis zurück, die während der Jahre des Kriegsrechts zwischen den einzelnen Bundesstaaten in Gebrauch gewesen waren, aber die hier angegebenen Daten und Namen sangen ein anderes Lied. Ich gab das Papier zurück.
    »Sie wollen Amerikaner sein«, sagte Doc und wich einem doppelt geparkten Milchlastwagen auf der rechten Straßenseite aus; er schien aus Weißblech zusammengelötet zu sein. »Und Sie haben von diesen Passierscheinen nie gehört? Sind Sie eine Art Missionar oder was? Vielleicht anderswo aufgewachsen?«
    »Ich bin irreligiös«, sagte ich und überlegte, wann und ob ich Näheres über mich erzählen sollte. Ich stellte mir vor, daß er anhielt, um uns pflasterwärts zu hieven, um dann in seinem gewohnten Leben fortzufahren. Bevor ich ihm mit einer weiteren Dosis Wahrheit aufwarten konnte, ergriff er von neuem das Wort.
    »Einer von den Söhnen der Finsternis, wie?« fragte er; ich hatte keine Ahnung, was gemeint war. »Sehen Sie, ich kann mir auf dies alles keinen Reim machen. Aber eine Menge von dem Zeug, das Sie daherreden, hat weder Hand noch Fuß, Freund. Sobald ich Sie verarztet habe, werden wir ein ernstes Wort miteinander reden müssen, wenn Sie noch etwas wollen. Und ich wünsche offene Antworten, verstehen Sie?«
    »Nichts anderes«, sagte ich.
    »Amerikaner – mein Arsch!«
    Die Tenth Avenue wurde unbemerkt zur Amsterdam Avenue. Als die Straßenszenen sich in unendlicher Folge vor mir abspulten, verdoppelte sich der pochende Schmerz in meinem Schädel, aber jeder Anblick faszinierte, so daß ich nicht anders konnte als den Schmerz durch Zwinkern zurückzudrängen, während ich wie gebannt hinausspähte. Lange, niedrige Blocks trister Mietskasernen, unzerstückelt von hochgetürmtem Beton und Glas; die zitronengelben Exoskelette von Taxis zwischen Hunderten von kastenartigen und stromlinienförmigen Wagen, geparkt und in Fahrt; schlecht beleuchtete, Tag und Nacht geöffnete Verkaufsstände, die Kisten voll Obst und Gemüse feilhielten, Restaurants mit Neonschnörkeln, Zeitungskioske hinter Brustwehren aus bedrucktem Papier; olivenfarbene Briefkästen, emaillierte blaue Straßenschilder, schwarze, gußeiserne Laternenpfähle und Buntglasfenster in Kirchen; nächtliche Spaziergänger in Jackett, Schlips und Hut, frei vom Schweiß der Tagesstunden, durchwanderten die nächtlichen Straßen, als ob sie unterwegs zum Büro wären: alles zeigte die Knechtschaft einer anderen Zeit an, neugemachtes Fleisch aus dem Staub der Geschichte. Daß wir hier viele ungeleitete Minuten verbringen konnten, schien unvorstellbar; zweifellos verklärte die späte Stunde das Koma durch Optimismus. Doc schien jetzt ruhiger zu atmen; vielleicht hatte er sich hinreichend beruhigt, um über andere Verlegenheiten zu sprechen.
    »Wie kommt es, daß Sie mit russischer Sprache vertraut sind?« fragte ich. »Waren Sie dort?«
    »Nach dem Krieg«, sagte er.
    »Eingezogen?«
    »Wir meldeten uns alle freiwillig. Dachten, wir könnten uns auf diesem Weg beweisen. Mit etwas Selbstachtung aus der Sache herauskommen. Scheiße.« Sein Lächeln zeigte nichts, was an Heiterkeit heranreichte. »Die ganze 369. blieb hier und machte die ganze Zeit nichts als Instandsetzung. Wenigstens war ich in der Sanitätsabteilung, obwohl ich die Hälfte der Zeit nichts anderes tat als darauf zu achten, daß das Blut nicht vermischt wurde, nachdem uns erlaubt worden war, Blut zu spenden. Aber schon damals dachte ich, daß sie unser Blut einfach den Franzosen schickten.« Er seufzte; zündete eine weitere Zigarette an. »Unsere Offiziere sagen immer, bald geht es los, bald geht es los. Schließlich kam der Waffenstillstand, und dann wurden wir endlich verschifft.«
    »Nach Kriegsende?«
    Er nickte.

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