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Ambient 04 - Terraplane

Ambient 04 - Terraplane

Titel: Ambient 04 - Terraplane Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Womack
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Getty zu achtzehn anpriesen, weitläufige Gaststätten mit abgewetzten Tanzböden. Lampenbeschienene Reklameplakate verkauften Rupperts Bier, Brot von Silvertop, Hudson-Automobile, Mazda-Glühbirnen, Crosley-Radios. Ein großes Plakat verkündete unter der Darstellung einer Familie, die schwachsinnig aus einem Auto herausgrinste, daß es keinen anderen als den American Way of Life gebe; ein anderes Plakat zeigte nichts als die Umrisse von Spitze und Kugel, den Emblemen der Weltausstellung, diesmal mit der überlagernden Bildlegende BESUCHEN SIE DIE WELT VON MORGEN.
    Vom Rücken der Anhöhe führte die Straße abwärts; jenseits ihres offenen Einschnitts, über dem schwarzen Fluß, stand das verlorene New York, dessen ornamentierte Türme sich wie eine Menge funkelnder Kristalle erhoben, befreit von den ragenden glatten Wänden unserer Tage. Am Fuß der dunklen, mit Häusern beschindelten Hügel fuhren wir in den Tunnel ein, schossen in die Stadt wie ein Virus durch die Blutbahn, die den eindringenden Körper veränderte, wie dieser den Körper veränderte, indem er eindrang.
     

5
    »Halten Sie Ihre Flebben bereit«, sagte Doc mitten im Tunnel. Die Lichter darin schienen so blendend weiß, daß ich das Gefühl hatte, durch eine Leuchtstoffröhre zu sausen. »S'ist Freitagnacht, also werden sie die Wache noch draußen haben. He, Jake!«
    Jake, taub für normale Zurufe, brachte sich ein leises Ständchen, die Augen lidverborgen vor den Wunderlichkeiten dieser Welt, die Ohren allein auf das Lied der Geschichte eingestimmt. Oktobrjana hing wie eine Napfschnecke an seiner hängenden Schulter und schlief in sicherer Ahnungslosigkeit. Er strich ihr halb geistesabwesend übers Gesicht, brachte neue Farbe auf die Leinwand ihrer Haut. Unter dem Einfluß der Musik, bildete ich mir ein, kehrte Jakes Seele vielleicht zurück; bisher hatte er in der Kunst seines Lebens keinen Farbton außer rot auf seine Palette gebracht.
    »Jake!«
    »Schrei nicht«, murmelte er, zog die Ohrhörer heraus, ohne sonst etwas zu tun.
    »Du hörst besser ohne diese Taubstummenhilfe, Jake. Wir kommen in die Stadt, Freund. Aufgepaßt!« Zu unserm Fahrer gewandt, sagte ich: »Doc, was sind Flebben? Ich bin unsicher.«
    »Ach so, na, Ihre Papiere natürlich. Paß, Ausweis, Passierschein, was Sie alles so haben. Halten Sie es bereit.«
    »Wieso Paß?« Durch mein Unverständnis herausgefordert, überschatteten Zorneswolken sein Gesicht, obwohl er seine Aufwallung beherrschte; sein Griff am Lenkrad festigte sich, seine Knöchel erbleichten, als das Blut von den Händen zum Kopf strömte.
    »Ihre Personalpapiere«, wiederholte er. »Sie haben keine bei sich?«
    »Haben sie nicht bei uns«, sagte ich. »Was ist gemeint?«
    Seiner Stimme Orgel zog alle Register. »Ein paar Verrückte seid ihr«, polterte er. »Habt alle einen an der Knolle! Wissen Sie das? Dann folgen Sie jetzt alle meinen Anweisungen, bis wir durch sind. Besonders Sie.« Mit zustoßendem Zeigefinger betonte er die Erfordernis meiner Aufmerksamkeit. »Lassen Sie mich das Reden besorgen. Ich glaube, ich kann ihnen etwas vormachen.« Er enthutete sich und stülpte mir die Krempe über den Kopf, wobei er verkrustete Wunden aufriß. Der Hut saß mir auf den Ohren, kaum in Berührung mit meinem Schädel. »Gut, daß Sie einen kleinen Kopf haben. Nun lassen Sie die Krempe tief in der Stirn, ja? Wenn die Ihre Rübe sehen, werden sie wissen wollen, wer auf der anderen Seite ins Gras gebissen hat.«
    »Wer sind sie, die warten?« fragte Jake mit ruhiger Stimme.
    »Polizei«, sagte Doc mit seltsamer Betonung. »Halten Sie die Klappe! Je weniger sie hören, desto besser. Mit ein bißchen Glück kenne ich die an der Straßensperre.«
    Die Einfahrt in die Stadt war wie das Erwachen aus einem Traum. Wir fuhren auf die Dyer Avenue, die uns in die Zweiundvierzigste einfädelte. Über die staubigen unbebauten Flächen entlang der Straße waren Elendssiedlungen verstreut, mit Stricken zusammengebundene Kartons, rostige Autowracks, ein Beduinenlager aus geflickten Zelten.
    »Vor einem Monat haben sie dieses Hooverville abgerissen und niedergebrannt, und schon sind alle wieder da«, sagte Doc und bezog sich dabei – wie ich vermutete – auf die Obdachlosensiedlung um uns. Lange Bündel lagen in Reihen wie ausgelegt zur Identifikation. Als ich genauer hinsah, bemerkte ich, daß die Bündel sich regten, von Träumen gepeinigt, wie sie es vom Leben waren. Zwischen kartonartigen Gebäuden zu unserer Linken

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