Ambient 04 - Terraplane
Kissen aus dem obersten Schrankfach zu ziehen, fiel mir etwas unter der rechten Schulter auf, halb verdeckt vom Träger des Unterhemdes.
»Haben Sie sich das im Feuer geholt, Doc?« fragte ich. »Eine Kriegsverletzung?«
»Was?«
»Auf dem Rücken.«
»Sie haben nie so eine gesehen?« fragte er so leise, daß ich es kaum hörte. Er wandte sich um, sie mir zu zeigen, dann schaltete er das Licht wieder aus, bevor ich seine Augen sehen konnte, gab mir das Kissen. »Bis morgen.«
»Gute Nacht«, sagte ich. »Danke.« Er schlüpfte durch die Schlafzimmertür und schloß sie hinter sich, und ich blieb mit dem Gefühl zurück, unwissentlich seine Seele verwundet zu haben. Ins Wohnzimmer zurückgekehrt, sah ich Jake auf seinem Lager unter der Decke liegen, am Kopfende den zusammengelegten Anzug. Oktobrjana, die bereits zu schlafen schien, hatte das dünne weiße Laken fest um sich gezogen; sie schwitzte so, daß sie noch nackter zu sein schien als vorher. Schüchtern in der Gegenwart fremder Frauen und bestrebt, unbeabsichtigte Reaktionen zu verbergen, behielt ich die Hose an, als ich die Lampe löschte und mich niederlegte. Der Boden fühlte sich beinahe weich an.
»Was ist zu tun, Luther?« fragte Jake.
»Schlaf«, sagte ich. »Wir halten die Ohren offen. Ich bringe nicht alles zusammen, was vorgeht.«
»Ich bringe gar nichts zusammen«, sagte er, dann wurde er still. Nach den ersten zwei Stunden schien das Rattern und Kreischen der Hochbahn kaum noch vernehmlich und wurde beinahe als angenehm empfunden. Als ich erwachte, war der Raum erhellt vom bernsteinfarbenen Widerschein der Morgensonne; draußen war ein Sommerlicht voll Dunst und Nässe, durchzogen vom stählernen Tausendfüßler der Hochbahnbrücke. Aufklärende Fliegen kitzelten meine Haut.
»Jake …«, hörte ich; gab nicht zu erkennen, daß ich lauschte. Früher – wieviel früher, konnte ich nicht sagen – war sie erwacht und bodenwärts gekrochen, zu Jake unter sein Laken geschlüpft. Aus der Distanz meines Lagers beobachtete ich, lauschte kaum hörbarem Gemurmel. Wenn sie sich näher drängte, zog er sich zurück, wenn sie die Arme um ihn schlang, machte er sich los. Sie glitt und wand sich, rieb und schmuste, klammerte sich an seine Schultern, als wäre ihr Griff an ihm alles, was sie vor dem Versinken bewahrte. Ihre Energie verblüffte; dennoch erzielte sie keine Reaktion. Während alledem verhielt Jake sich ruhig, als würde jede Bewegung sein Ende bedeuten. Sie mußte das Gefühl haben, einen Toten zu lieben.
»Ich kann nicht«, sagte er schließlich. Mein Voyeursauge sah sie weinen; kein Schluchzen war zu hören, nur die Tränen rannen ihr über die Wangen.
»Jake«, sagte sie. »Braschnij.«
Sie verließ ihren enttäuschenden Liebhaber, dessen vollkommene Beherrschung unerschüttert blieb. Bevor der Schlaf mich wieder in einen erträglicheren Zustand überführte, erinnerte ich mich mit unausweichlicher Klarheit dessen, was ich gesehen hatte; erinnerte den Eindruck in Docs Rücken, das Zeichen, das mich wieder auf Aljechins Warnung hingewiesen hatte, daß alles vertraut Scheinende sich mit der Zeit als anders erweisen würde. Der Verstand wehrte sich gegen die Vorstellung, die Erinnerung erschreckte ihn. Narben ätzten Docs Rücken, aber dies war keine Narbe; eine Botschaft, die ohne das Signal der Tätowierung weitergegeben wurde. Er trug ein Brandzeichen: ein verlängertes Queroval, auf dem Schulterblatt. Im oberen Rand des Ovals stand KEIN PFAND im unteren KEINE RÜCKGABE. Im Inneren des Querovals war das Markenzeichen in dem altmodischen Schriftzug, der bis in unsere Tage unverändert geblieben war: EIGENTUM DER COCA-COLA CO., ATLANTA, GA.
6
»Hungrig?« fragte Doc,
kurz nachdem er uns um neun geweckt hatte, während wir uns noch aus dem Grab des Schlafes zogen. Jake und ich hatten seit Skuratows Einladung am vorletzten Abend nichts gegessen, und uns war, als seien ebenso viele Jahre vergangen.
»Ist eine Scheuerbürste in der Nähe?« fragte Jake, sobald er seine beschmutzte weiße Hose entfaltet hatte. Als er keine Antwort hörte, fügte er hinzu: »Geben Sie Detergentien, und ich wasche in der Wanne.«
Oktobrjana stand auf; das Laken klebte an ihr wie mit Leim. »Detergentien sind noch nicht erfunden, Jake«, sagte sie.
Doc erfaßte die Richtung. »Wir haben Kernseife. Aber werden Sie diesen Anzug nicht ruinieren, wenn Sie ihn einweichen? Wird er nicht eingehen?«
»Er ist formstabil und voll waschbar«, sagte Jake, stand
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