Ambient 04 - Terraplane
entfernt standen die Wolkenkratzer des Zentrums. Wir näherten uns.
»Sind Sie und Doc schon lange Partner?« fragte ich, ausgehungert nach dem menschlichen Zug.
»Seit ich achtzehn war.«
»So jung …«
»Norman war sechzehn.« Sie lächelte. »Es war arrangiert«, sagte sie, ohne es genauer zu erklären. Als wir in die Station einfuhren, rief der Zugführer den Namen Desbrosses. »Wir sind da.« Sie stand auf und verlagerte ihr Gewicht von einem Bein zum anderen, um beim Verlangsamen des Zuges nicht umgeworfen zu werden. »Kommen Sie!«
Wir stiegen hinunter, folgten einem Zickzackkurs vorbei an Elektroläden mit Lampen und Radiogeräten, Restaurants, die Schweinsfüße für zehn Cents die Portion anboten, Schlachtereien, deren Schaufenster mit Kadavern von Kaninchen, Schwein und Kalb schauderten, Textilgeschäfte, die Unterwäsche, Kleider, Hosen feilhielten. »Hab' noch kein Telefon gesehen«, sagte sie. »Er wird sich den Kopf zerbrechen.«
Als wir den Fluß des Broadway durchwateten, fegte uns ein Rheingold-Brauereiwagen beinahe in sein Kielwasser; die karminrot gestrichene Ladefläche trug hundert hölzerne Fässer. Wie erhofft, begann die Narkose der Vertrautheit zu wirken; je mehr ich sah, desto mehr schien alles eine bestimmte erwartete Unausweichlichkeit zu enthalten, die nur mit der Untersuchung von Details verschwand. Aber diese Einzelheiten trugen die Ladung, die ohne Warnung erschreckte: die Art und Weise, wie eine Zigarette zwischen Daumen und Finger gehalten wurde, der matte Glanz eines bernsteinfarbenen Knopfes, die Buchstaben auf einer Packung Frühstücksflocken, eine Ankündigung, ein Haarschnitt, das Einwickelpapier von Kaugummi, dessen Folie dünn und nicht silbrig beschichteter Kunststoff war. Ohne die Einzelheiten hätte alles bald langweilig sein können.
»Centre und Bahnhof«, sagte ich bei neuerlicher Überprüfung des Lichtpunkts. »Genau.«
»Na gut«, sagte sie. »Von hier an bleiben Sie dicht an meiner Seite. Keine Eskapaden auf eigene Faust.«
Jenseits des Broadway wurden die Straßen schmaler und dunkler; Fassaden wurden schwer von Stuckornamenten, Zierleisten und Gesimsen. Wo der Blick in Hinterhöfe ging, waren lange Wäscheleinen zu sehen, die zwischen Fenstern durchhingen, beladen mit Wäsche. Die Rufe von Kindern wurden überlaut; Gemüsedüfte frischten den Straßengestank auf.
»Diese Makkaronis hier unten führen sich auf, als ob ihnen die verdammte Stadt gehörte, aber dieser Teil ist unbestreitbar ihrer. Wenn sie Bemerkungen machen, ignorieren Sie sie. Wenn sie etwas tun, lassen Sie es hingehen. Wehren Sie sich nicht, riskieren Sie keine Lippe. Gehen Sie schnell, als ob wir bloß durchgingen, und halten Sie sich bereit, die Beine in die Hand zu nehmen. Wenn wir gehen, wohin ich vermute …«
Ihre Worte beschäftigten mich, als wir weitergingen. Bäckereien, aus denen Gerüche von frischem Weißbrot und Hefe drangen, zeigten ihre Brote hoch gestapelt in den Schaufenstern, darüber gerahmte Aufnahmen von Mussolini, dem großen Mann dieses Viertels. Ein Stück weiter erschienen Heiligenfiguren in den Fenstern, Kruzifixe auf Truhen; die Sprache war fließend und weich. Im gesamten Stadtzentrum schien Knappheit an Nichtweißen zu herrschen; hier waren wir die einzigen Farbigen. Alte Leute bekreuzigten sich, als wir vorbeigingen; Frauen mittleren Alters musterten uns von Kopf bis Fuß, murmelten unhörbare Worte; faßförmige Männer kehrten uns flächige Rückseiten zu, bis wir vorbei waren. Unweit der Centre Street lungerte eine Gruppe junger Männer vor einem Café. Einer trug ein Unterhemd, um seine pelzigen Schultern besser zur Schau zu stellen; eine Unterarmtätowierung sah aus, als sei sie mit Farbstift und einem heißen Kleiderbügel ausgeführt worden. Als wir vorbeigingen, streckte der tätowierte Bursche den Fuß aus, und Wanda übersprang ihn leichtfüßig.
»Paß auf, wohin du trittst«, kicherte er.
»Seht euch den Turban an«, sagte einer; ich hatte meinen Kopfverband, und wie er aussah, fast vergessen. »Muß sich für Gandhi halten.«
»Warum seid ihr Affen nicht im Zoo?« rief ein anderer. »Habt ihr euch verlaufen? Sucht euren Drehorgelmann?«
»Nicht so langsam, Sambo.« Etwas Kieselartiges traf meinen Rücken, als wir mit schnellen Schritten nordwärts in die Centre Street bogen.
»Scheißnigger«, hörte ich den Tätowierten sagen.
»Dieses Wort«, sagte ich, als wir außer Hörweite waren. »Was problematickt sie so?«
»Beachten Sie die
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