Ambient 04 - Terraplane
nicht«, sagte Wanda mit gepreßter Stimme; ihre Pupillen waren geweitet, wie um alles Licht einzusaugen, sich gegen die Finsternis zu verteidigen. »Dürfen Sie nicht, wenn Sie hier unten gehen wollen.«
Etwas Unignorierbares erhob sich voraus über die umgebende Stadt; wenn es je in unserem New York gestanden hatte, war es mir entgangen. Wahrscheinlich war es längst verschwunden; in unseren Tagen lag dieser Sektor ein gutes Stück innerhalb der alten Loisaidazone, die vor Jahren auf Befehl Mister O'Malleys eingeebnet worden war. Der Eisenschrott war stadtaufwärts geliefert worden, um in den neuen Bronx-Gebäuden verbaut zu werden. Möglicherweise entstand die Wirkung nur durch den Kontrast zu den umgebenden niedrigen Ziegelbauten, aber keine Kathedrale wirkte so majestätisch, keine Burg so fest. Die Hausteinwände standen wie Bollwerke; über den Fenstern lasteten wulstige, geschwungene Fenstergiebel wie gegossen und festgefroren. Über dem zinnenbewehrten Dachgesims ragte ein mit Halbsäulen besetztes und mit einer grünen Kupferkuppel gedecktes Faß. Das Aufspürgerät pulsierte, als wir näher kamen und den Rand des Platzes erreichten.
»Er ist dort«, sagte ich, schaltete das Gerät aus und steckte es ein. »Was ist es?«
»Sie müssen Ihren Freund in den Knast gesteckt haben«, seufzte sie. »Das ist das Polizeihauptquartier.«
Dutzende von schwarzen Käfern lagen still um ihr Nest, als wären sie, unversehens besprüht, nach Haus gekrochen, um zu sterben; ihre uniformierten, bewaffneten Fahrer zeigten nur zuviel Leben; es herrschte ein ständiges Kommen und Gehen. Aber in dieser Umgebung lauerte auch Gefahr; über einem Geschäft auf der anderen Straßenseite hing ein Nasenschild in Form einer Pistole, die auf das Polizeihauptquartier zielte. Ein Laden, der Waffen an New Yorks schlechtgelaunte Öffentlichkeit verkaufte.
»Meinen Sie, er könnte sich selbst gestellt haben?« fragte sie.
»Seine Affinität neigt zu jenen, die Sicherheit versprechen«, sagte ich. »Wenn geschnappt, wird er wahrscheinlich freiwillig auspacken.«
»Was auspacken?«
»Märchen, unzweifelhaft«, sagte ich. »Nichtsdestoweniger gefährlich: Seine Phantasien sind tödlich. Ich nehme an, der protektive Modus ist im ganzen Gebäude eingeführt?«
»Protektiver Modus?« sagte sie. »Wovon reden Sie?«
»Ist das Gebäude gesichert?« fragte ich: »Was würde geschehen, wenn ich jetzt hineinginge?«
»Gehen Sie ohne Grund oder Einladung da hinein, und Sie werden nicht so bald wieder herauskommen.«
»Dann ist das im Augenblick keine Wahl«, sagte ich. »Wahrscheinlich wird er sich länger aufhalten. Wir müssen von Ferne äugen und handeln, wenn Bewegung gesehen …«
»Dann können wir gehen?« fragte sie. Ich bejahte; wir machten kehrt und sahen in mehreren Metern Entfernung drei von unseren Beschimpfern, die uns mit stieren Blicken erwarteten.
»He«, rief der Tätowierte, »hört ihr schlecht? Ich sagte, ihr sollt Leine ziehen!« Einer zu seiner Linken, dunkler als ich, hatte einen Baseballschläger in den Händen.
»Wir kehren um«, sagte Wanda. »Gehen nach Norden. Nicht laufen, aber auch nicht bummeln.«
Wir liefen nicht; sie taten es. Wir hatten noch keine zehn Schritte getan, als ich pflasterwärts gestoßen wurde und vorwärts schrammte.
»Seid ihr taub? Oder wollt ihr nicht antworten, wenn jemand mit euch redet? Hah?« Er packte meine Revers und riß mich hoch.
»Wir gehen schon«, sagte Wanda, trat näher und versuchte, seinen Griff zu lösen. »Kein Grund, grob zu werden.« Er stieß sie beiseite, nicht weit, aber genug, daß es mich verdroß. Obschon kleiner als ich, war er drahtig und höchstens zwanzig Jahre alt. Ich schlug seine Hände von meinem Jackett und stieß ihn fort. Mein Herz erbebte; ich hatte mich seit zwanzig Jahren nicht geschlagen.
»Dich werd' ich lehren, in unserer Nachbarschaft herumzuscheißen!« brüllte er, stürzte sich auf mich, anscheinend durch unsere bloße Gegenwart in Raserei versetzt. Ohne lange zu überlegen, riß ich das Bein hoch, zerrte beinahe einen Muskel und stieß ihm mit einer halben Drehung die Ferse hüftwärts. Als er fiel, sprang ich auf ihn; er spuckte mir ins Gesicht. Ich bin zwar kein Jake und kein Johnson, aber als ich seine Visage sah und den Speichel auf mein Kinn tropfen fühlte, wünschte ich nichts Geringeres als all sein Blut vor mir zu haben. Im Begriff, ihn glattzumachen, hielt ich jedoch inne, wieder in Besitz genommen von der Vernunft. Inzwischen
Weitere Kostenlose Bücher