Ambient 05 - Elvissey
Segen. Vielleicht hätte ich auf das hören sollen, was Judy mir vor Jahren sagte; aber es gab kein Bedauern über die Vergangenheit, nur über ihre Resultate. Ich fragte mich müßig, ob ich so alt aussah wie John plötzlich. »Dann werde ich mich wie gewünscht verhalten«, sagte er und justierte sein Knie so, daß er gefahrlos stehen konnte. »Vergib, Iz.«
»Vergeben«, sagte ich. »Laß mich noch einmal wiederholen, John. Wir sind nicht endgültig getrennt. Nur auseinandergetrieben. Wenn wir Eltern werden …«
»Falls wir Eltern werden«, sagte er. »Was ist das für eine Welt, Iz? Sollten wir ihr Fortbestehen sichern?«
»Ja«, sagte ich, ohne zu wissen, warum; dennoch davon überzeugt. »Es ist unser Baby …« Er senkte den Kopf; ging zum Wandschrank hinüber. »Mein Baby.«
»Deins«, sagte er, als er in seine Jacke schlüpfte. »Ich werde heute abend wegfahren. Ich kann im Büro unterkommen, jetzt, wo mir die Rückkehr erlaubt wurde. Ich werde morgen früh zurückkommen, um meine Sachen zu holen, sobald du gegangen bist …«
»Wenn das vorgezogen wird.« Er nickte. »Vergib, John. Es gibt keine andere Möglichkeit.«
»Nichts zu vergeben«, sagte er. »Es ist, wie es ist.«
»Du wirst dir nichts antun«, sagte ich. »Bitte tu es nicht …«
Er kopfschüttelte lächelnd. »Du wirst wissen, wenn die rechte Zeit ist, Iz. Wir beide werden wissen.«
Er kam zu mir, beugte sich vor und küßte mich auf die Stirn, wobei er mich in den Schatten seiner Nachttischlampe hüllte. »John«, sagte ich, »am Abend, bevor ich erblindete. Wo bist du gewesen?«
»Spazieren, wie gesagt«, sagte er und starrte auf unsere Tür, als er sich zum Gehen bereitmachte; schien auf den Narbenkreis im Holz zu blicken. Der Knoten seiner Obsttüte ragte aus seiner Jackentasche. »Was hast du während des Spazierens getan?« »Nichts Unvorhersehbares«, sagte er und trat auf den Korridor hinaus. John ganserierte ebenso perfekt wie E. Hatte ich die Wahrheit erwartet, als ich fragte? Aus Gründen, die ich lieber nicht spezifizieren wollte, war ich froh, daß er sie mir nicht gesagt hatte. »Gute Nacht, Iz.«
»Gute Nacht.« Ich wartete, bis ich unsere Wohnungstür sich hinter ihm schließen und verriegeln hörte, bevor ich entspannte; selbst nachdem er gegangen war, konnte ich nur Tränen vergießen und sie nicht wirklich weinen. Unsere Trennung erfolgte mit so gemeiner Leichtigkeit; wie sehr ich auch erleichtert war, so hätte ich mir nie vorgestellt, daß die Beseitigung so vieler Jahre mit solcher Sachlichkeit geschehen konnte. An jenem Abend lag ich stundenlang wach, war mir der Anwesenheit bewußter als der Abwesenheit; dachte an das, was mir aus dem Kopf gerissen worden war, fragte mich, wie lange ich noch behalten konnte, was sich noch in meinem Leib befand.
»Was du sehen wirst, wird faszinieren, ich bin sicher«, sagte Leverett, als wir am nächsten Morgen nach Manhattan hineinfuhren. Er saß uns gegenüber auf dem Notsitz und schien viel interessierter, uns zu beobachten als unsere allzuvertraute Umgebung. »Sieh dich um, Elvis. Dein erster Ausflug. Das ist New York, wie es einmal war.«
»Wie es ist«, sagte ich. »Es gibt immer noch Bewohner.«
Leverett nickte; sein Lächeln wurde so breit, daß ich seine übriggebliebenen Zähne zählen konnte. »So könnte man sie bezeichnen.«
Wir flußüberquerten nach Harlem, hielten uns südwärts auf der Fünften Avenue, weit entfernt von der sicheren Broadway-Route entlang der West Side, die wir während des Trainings genommen hatten. E fensterstarrte durch seine Skimaskenschlitze; Leverett bestand darauf, daß er nur inkognito ausging. Wir passierten ausgebrannte Projekte und das umgebende Watt, über das die Besitztümer langverlorener Bewohner verstreut waren; umzäunt von fackelnden Army-PVs und graffitierten Buskarosserien. Unser Fahrer schwang uns um Löcher herum, die größer als Höhleneingänge waren und tief genug schienen, um Lastwagen zu verschlingen.
»Hier leben noch Leute?« fragte E, der auf Flammen starrte, die eine Ziegeltafel in Kreuzform simsten; der Rauch schwärzte den Regen und tintete unseren Wagen.
»Viele ziehen es vor«, sagte Leverett. »Unsere Firma hat den Weg des Leben-und-leben-lassens eingeschlagen.«
Eine sechs Meter hohe Mauer grenzte durch die Mitte der 110ten Straße und teilte Zonen ab, die theoretisch gar nicht mehr existierten. Keine Wächter kontrollierten uns mehr wie früher; mit den Jahren abgelöster Stacheldraht hing
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