Ambient 05 - Elvissey
grundlos, sie zu behalten; wie sehr die andere Welt John auch immer zusagen mochte, mir stand dort nur der Genozid wie meinem übrigen Volk bevor. Dennoch mußte ich diese Vorstellung unbewußt als Hintergrundgedanken gehegt haben: Wenn die Dinge sich hier ausweglos überwältigend entwickeln sollten, blieb mir ein Ausweg, der sich nicht als Suizid bezeichnen ließ.
»Es gibt einen, nicht wahr?« fragte E mich erneut.
»Nein«, sagte ich zu ihm. »Diese Welt terrorisiert dich so sehr, daß du eher zurückkehren und Bestrafung in der anderen in Kauf nehmen würdest?«
»Ich habe keine Angst«, sagte er. »Nicht wirklich. Ich hab' nur die Nase voll. Ich glaube nicht, daß es irgend jemandem von den Beteiligten irgend etwas bringt.«
Er schloß die Augen und verzerrte das Gesicht; sein Ausdruck implizierte so starke Kopfschmerzen wie meine. E hatte vielleicht nie den Weg unserer Welt gelernt; aber er verstand unsere Weltanschauung nur allzugut.
»Nach meinen Informationen wird Sonntag der große öffentliche Auftritt sein«, sagte ich zu ihm. »Anschließend wirst du mehr Zeit für dich selbst haben. Du kannst nachdenken, sobald du allein bist …«
»Bist du sicher, daß ich alleingelassen werden möchte?« fragte er. »Was Leverett mir erzählt, ist jedesmal anders, je nach dem, wann ich frage. Woher weiß ich, daß ich das nicht jede Woche tun muß?«
»Der Streß wäre zu groß«, sagte ich. »Nicht nur für dich, auch für ihn. Und für mich.«
»Ich halte das einfach nicht mehr lange durch. Das geht nicht.«
»Tritt wie gewünscht Sonntagabend auf, E«, sagte ich. »Wenn ich dich anschließend zurückschicken kann, werde ich es tun. Das hier muß wie geplant ablaufen. Sobald es vorbei ist und du Zeit zum Nachdenken gehabt hast, werden wir weitersehen. Wirst du zustimmen, zumindest meinetwillen?«
»Du willst erreichen, daß sie mich zurückschicken, nachdem alles vorbei ist?« fragte er ebenso monoton wie vorher.
»Das werde ich«, sagte ich. »Bin ich vertrauenswürdig? Immerhin bin ich eine Dero …«
Er lächelte ohne eine Spur von Fröhlichkeit; schien sich aber zumindest beruhigt zu haben. »Ich traue dir mehr als Leverett«, sagte er. »Okay.«
»Gut«, sagte ich, fühlte mich energieleer, wenn nicht gar gefühlsleer; wollte nur noch mein Bewußtsein aussetzen lassen und bodenwärts fallen. »Inzwischen Wiederholung …«
»Heh, Isabel, ist alles mit dir in Ordnung?«
»Warum die Frage?«
»Du wirst fett«, sagte er.
Ich lächelte; täglich zeigte es sich stärker, zumindest glaubte ich das. Was den gestrigen Nachmittag betraf, ruhte mein Baby noch ganz und lebendig in mir. »Ich werde mit Sicherheit mehr als genug Bewegung haben, während ich hier bin. Ich brauche ein oder zwei Stunden Schlaf, gleichgültig, was Leverett meint. Ich werde heute abend vor dem Aufbruch zurück sein.«
Als ich aus dem Büro trat, sah ich, daß Willy von John abgelöst worden war. Mein Mann sah aus wie jedesmal, wenn ich mit ihm telefoniert hatte; ihm erstmals seit der Trennung in Fleisch und Blut statt in Bild und Ton zu begegnen, tröstete und beunruhigte gleichermaßen entgegen allen Erwartungen. Er nahm meine Hand, als ich an ihm vorbeigehen wollte; ich ließ sie ihn halten. Sein Knifelife- Exemplar und seine Obsttüte ragten aus seinen Jackentaschen.
»Wir sind im gleichen Hotel untergebracht«, sagte er. »Wußtest du?«
Ich kopf schüttelte; blickte ihm kurz ins Gesicht, wollte keinem von uns beiden übermäßig weh tun. »Gut, dich zu sehen.«
»Gegenseitig.« Da er saß und ich stand, war sein Blick in meiner Bauchhöhe; als ich in seinem Blick nichts Ungehöriges erkannte, gestattete ich mir eine letzte Phantasie: daß er durch meine Abwesenheit sehnsüchtig geworden war, unser gemeinsames Leben überdacht, das Gute und Schlechte neubewertet und sich bereitet hatte, die Vaterschaft anzuerkennen und sich zu reoptimieren. Es war eine angenehme Vorstellung, und sie verschwand so schnell, wie sie gekommen war.
»Du wirst uns heute abend begleiten?«
»Es ist eine unbewachte Exkursion, um die Aufmerksamkeit zu minimieren«, sagte er. »Wenn du bis Mitternacht zurück bist, kann ich dich momentlang besuchen?«
»Es wird spät sein, John, und was inzwischen geschehen sein wird …«
»Um zu reden?« Sein Handdruck verstärkte sich; doch der Griff schmerzte nicht, und seine Augen blickten um uns beide besorgt. Ich nickte, da ich mich nicht entziehen konnte, bevor ich zugestimmt hatte.
»Wo findet
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