Ambient 05 - Elvissey
endlich das Bronx-Hauptquartier eröffnet, und alle Operationen wurden von Manhattan stadtaufwärts verlegt. Der Safranspeer des Gebäudes stach in den Himmel, zerfetzte die Wolken. Es schien hochragend genug, um von unverglühten Raketen getroffen zu werden. Die Außenhaut des Dryco-Turms war perfekt; die Innereien waren noch im Umbruch. Kopflastige Abwehr überfüllte Passagen, Workstations konfusten überall, Teppiche waren unverlegt, Diagramme unbefestigt. Nicht alle Life lifteten, doch alle gähnten offen, um die Unvorsichtigen einzuladen. Vor drei Tagen war Drycos Handelsmanagerin für Indonesien – als sie nach arbeitsmäßiger Schlaflosigkeit ihren dritten nahrungslosen Tag begann – falschwärts getreten und hatte hundert Stockwerke im Expreß zurückgelegt. Häusliche Gerüchte raunten, ihr Sturz wäre kein Zufall gewesen. Dryco spendete ihrem Mann die Kosten für ihre Urne.
»Wie ist gemeint, daß er nicht reagiert?« fragte ich; wunderte mich, was den Saum ihres Gewands davon abhielt, über den Boden zu fegen, während sie ging.
»Er introvertiert«, sagte sie. »Er spricht nur mich, seine Schwester oder den vermaledeiten Computer an …«
»Alice?«
»Dieselbige. Selbst wenn er uns anspricht, spricht er nur in Umlandsprache.«
»Ernsthaft?« Als wir jung waren, hatten wir unten in Alt-Loisaida, wo sie sich versteckten, solche Sprache gehört. Um ihre ruhmreich verunstalteten Gestalten vor der Welt zu vergeheimnissen, vergeheimnißten sie auch ihre Sprache und begruben Gedanken unter dem Gestrüpp eines groben Kauderwelsch. Manche glaubten, es wäre reinmelodisch, doch ihr Blabla kopfschmerzte mich jedesmal, wenn es mein Ohr traf. Ich hatte gedacht, niemand würde es mehr sprechen. Waren nicht alle Umlandbewohner wie die in Loisaida seit Jahren weg und verloren? Mit Sicherheit hätten sie keine Reoptimierung ertragen.
»Also antworte ich ebenso. Und Alice spricht zu niemandem mehr außer ihm. Wenn ich etwas sage, zieht er es vor, nicht hinzuhören. Leverett hat ihn schon zweimal angezapft. Also hört niemand zu, und Bedeutungen verklingen ungehört. Solcherlei Komplikationen machen verrückt, Iz. Ich würde mir einen besseren Job suchen, wenn ich wollen würde. Aber dann würde Leverett nur größere Chancen zum Zugreifen sehen.«
»Dann spricht er gar nicht mit Leverett …?« fragte ich.
»Noch nie«, sagte sie. »Leverett spricht, er hört zu. Dazu ist es gekommen.«
Judy übertrumpfte Leverett wie jeden anderen auch, als wäre er der einzige Dryconier gewesen, der schon vor ihrer Ankunft auf seiner Stellung gewesen war. Seit Jahren hatte er ungesehen und ungehört seine Pflichten erledigt; dann war er kurz zuvor auf einmal wie besessen aufgelebt, als wäre eines Nachts jemand in sein Bett gekrochen, um ihn im Schlaf zu verdrängen.
»Wo wird mein Büro sein?« fragte ich, als ich bemerkte, daß man es mir während meines ersten Besuchs nicht gezeigt hatte. Judy antwortete nicht sofort, sondern wartete, bis wir um eine Ecke und vor eine summende weiße Wand kamen.
»Wir werden es entscheiden, wenn dieses Projekt erledigt ist.«
Sie drehte ihren Armreif, zweimal nach links und einmal nach rechts. Als das Summen verklang, öffnete sich die Wand, und Mister O'Malleys Bürovorzimmer erschien, ohne Möbel, Mitarbeiter oder Firmenausrüstung. Während wir den Raum betraten, verkündete Judy unsere Ankunft laut rufend, damit jeder es hören konnte.
»Avalon«, antwortete die Stimme eines Mannes aus verborgenen Lautsprechern. »Sieh an!«
Mister O'Malleys Türen teilten sich geräuschlos, und wir stierten sanktumwärts. Ich hatte ihn in den achtzehn Jahren noch nie gesehen; im alten Gebäude waren seine Ein- und Ausgänge separat von allen anderen gewesen. In zwanzig Metern Entfernung saß er am Schreibtisch und starrte durch das Glas hinter ihm südwärts über seinen Bronx-Garten auf ein Dutzend vielstöckiger Gitter mit halbumschließender Abdeckung. Wir überquerten einen seegroßen kastanienbraunen Teppich, der mit Kaffeeflecken gesprenkelt war. Drycos Eigentümer hatte Johns Statur im Quadrat. Seine hängenden Schultern und fältchengesäumten Augen verfälschten sein Aussehen, so daß Johns Alter verfünffacht schien. John war seinem Vorgesetzten gegenüber sieben Jahre im Vorteil – oder im Nachteil, je nachdem.
»Freunde, Seamus?« fragte eine Frau neben Mister O'Malleys Schreibtisch. Seine Schwester, von der ich oft gehört, die ich aber nie gesehen hatte: Die Firmenlegende gab
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