Ambient 05 - Elvissey
für uns ergreifen. Ach, John, wenn wir Eltern werden, sind wir für immer gebunden. Es ist ein Fastwunder, es ist unser Segen, es ist …«
Ich verstummte, als ich sein Zittern beginnen spürte. »John?« Er schwieg, bebte wie vor einem Ausbruch; beruhigte sich dann wieder, schließlich so reglos still, daß ich Hirnschlag vermutete. »John, was ist?«
»Es ist seins«, sagte er, rollte von mir fort und sagte nichts mehr.
8
Elvis sang; E hörte zu. »Was wird gedacht?« fragte ich. Während der drei Wochen, seit ich ihn zuerst mit seinem Gegenstück konfrontiert hatte, hatte sich E an den Klang der Stimme gewöhnt, solange sie gesungen wurde; die Passagen, in denen Elvis zungensprach, zermürbten ihn immer noch genug, daß er sich prinzipiell weigerte, dem Gesprochenen zuzuhören. Ich war ebenso froh; Elvis' konserviertes Sprechen verriet ein so banales Publikum, daß ich in Koma versetzt worden wäre, wenn er mehr als zwei Sätze hintereinander gesprochen hätte.
»Er singt gut. Nur mit dem, was er singt, komme ich nicht klar.« An diesem Nachmittag hörten wir den Clambake- Soundtrack, während wir uns chronologisch durch die aufgenommene Bibel arbeiteten. »Du sagst, viele Leute mögen dieses Zeug?«
»Dein Gegenstück ist sehr populär, E«, sagte ich.
Er studierte das Foto auf der Diskhülle, eine Aufnahme aus den Mittsechzigern; Elvis' Züge waren so airbrushverklärt wie jede andere Postkarten-Ikone. »Sie haben ihn hier richtig gut zurechtgemacht«, sagte E. »Auf einigen Bildern sieht er wie ein dickes altes Mastschwein aus, das zum Markt gebracht werden soll. Ich muß doch nicht etwa so aussehen, oder?«
»Viele ziehen dieses Aussehen vor«, sagte ich. »Wir nicht.«
Seine Bandagen waren ab und enthüllten sein Aussehen, wie wir es gemacht hatten. Drycos Mitarbeiter hatten E so rückgebildet, daß er aus manchen Winkeln sogar weniger realistisch als sein Double in den nachgebesserten Fotos aussah. Bei Tageslicht schien seine Haut und sein Haar durch gefärbtes Polymer und Acryl ersetzt worden zu sein. »Das ist verrückt. Wie kann jemand etwas mögen, was so ausgesehen hat?«
»Es ist Liebe«, sagte ich. »Sieh aus, wie du magst, sag, was du willst. Es wird keine Rolle spielen. Du weißt, wie es ist, wenn man verliebt ist.« Er schwieg; mir kam der Gedanke, daß er es vielleicht noch nie gewesen war; womöglich genügte eine gelegentliche Vergewaltigung.
»Ich hatte einmal ein Mädchen«, sagte er. »Sie war in Ordnung.«
»Erzähle.«
»Sie hieß Dixie«, sagte E. »Wir trafen uns an der Kirche. Sie war ein hübsches kleines Ding. Wir gingen nach der Schule aus.«
»Was geschah?«
»Ihre Familie mochte mich nicht«, sagte er. »Ihre Mama und ihr Papa meinten, ich wäre weißes Pack. Wollten nicht, daß sie mit mir ausging, aber sie hat sich trotzdem davongeschlichen. Wir gingen in die Innenstadt oder raus nach Mud Island. Sind ziemlich gut miteinander zurechtgekommen.« E legte sich wieder aufs Bett; jetzt, wo die meisten Maschinen hinausgebracht worden waren, schien sich sein Krankenzimmer in der Größe verdoppelt zu haben. »Ihr Bruder Jimmy war ein jämmerlicher Hund, schon bevor ich anfing, mit ihr rumzuhängen. Er war in meiner Klasse, einer von den Kerlen, die nachts rausgingen und nur zum Spaß Opossums tottraten. Nannte mich ständig Milchbubi. Stellte mir'n Bein, wenn ich den Flur langging. Aber ich durfte ihn nicht beachten. Er und Dixie verstanden sich sehr gut. Habe nie herausgefunden warum, aber so war's.«
»Du hast schließlich interagiert, vermute ich …?«
»Einen Nachmittag nach der Schule ging ich in den Waschraum. Jimmy und ein paar seiner Jungs kamen rein und schnappten mich.« E's Gesicht verdüsterte sich; ich wußte nicht, ob Wut oder Scham hauptsächlich für seine Errötung verantwortlich war. »Werde nicht erzählen, was sie taten. Also am nächsten Morgen vor der Schule nahm ich ein Stück Schlauch und füllte es mit Sand. Jimmy saß im Schularbeitszimmer, als ich reinkam. Er lachte, als ich an ihm vorbeiging. Lachte wie verrückt, und dann zog ich ihm eins mit dem Schlauch über. Ging zu Boden wie ein Bulle im Schlachthaus.«
Er lächelte, als er von seinem denkwürdigsten Racheakt erzählte; seine Züge und sein Tonfall verrieten, daß diese spezielle Anekdote nicht beeindrucken sollte.
»Wurde er getötet?«
»Teufel, nein. Aber er kam drei Tage lang nicht in die Schule und war hinterher nicht mehr derselbe. Er und seine Jungs ärgerten mich nie
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