Ambler by Ambler
von »Lily of Laguna« einen Steptanz hin. Dann kamen die Zugaben und die Publikumswünsche, wobei die Zuschauer die Refrains der Hits aus »The Bing Boys« immer mitsangen. Das gesamte Programm dauerte meistens eine Stunde.
Als später mit der Zahl der Verwundeten das Publikum immer größer wurde und diejenigen, die für eine derartige Unterhaltung gesundheitlich überhaupt in Frage kamen, in Behelfsbaracken gebracht wurden, baute man in den Lazarettkantinen richtige Bühnen mit Scheinwerfern und Vorhängen auf. Da taten Reg und Amy Ambrose sich mit vier anderen Spielern zusammen und traten als Truppe unter dem Namen The Harmoniques auf.
Eines Samstagnachmittags im Frühjahr 1914 unternahm ich mit meinem Vater eine Busfahrt. Es war kein Pferdeomnibus, sondern ein motorgetriebener Wagen der Linie 75 , mit der er wochentags immer zum Fähranleger in Woolwich fuhr. Inzwischen bestand eine regelmäßige Verbindung zwischen Catford und Woolwich über Blackheath und Lee Green. An diesem Tag stiegen wir kurz hinter Lee Station aus.
Die Newstead Road war damals überwiegend von jenen viktorianischen Vorstadtvillen gesäumt, die über eigene Auffahrten verfügten. Dort wohnte das wohlhabende Bürgertum. In zwei Auffahrten standen sogar private Automobile. Zweihundert Meter vor dem Ende der Straße, die laut Straßenschild noch immer Newstead Road hieß, wurde plötzlich alles ganz anders. Auf dem bislang unbebauten Terrain hatte ein drittklassiger Bauunternehmer eine ganze Kette von Reihenhäusern hingestellt. Dort, wo seine Häuserreihe anfing, hörte das leicht gewölbte Straßenpflaster und der Bürgersteig auf. Der Rest der Newstead Road war ein einziges Morastloch. Der Schlamm war jenes gelbe, überaus unangenehme Zeug, das vom Londoner Lehm produziert wird. Die einzigen trockenen Stellen befanden sich entlang den neuen Gartenzäunen, wo Wasserleitungen und Kanalisationsrohre gelegt worden waren.
»Hier werden wir also wohnen, mein Junge«, sagte mein Vater. Er nahm mich bei der Hand, und wir bahnten uns durch den Schlamm unseren Weg zu einem der Häuser.
Es hatte drei Zimmer oben und zwei unten und etwas, was ich vorher noch nie gesehen hatte – ein Badezimmer. Es gab auch zwei Toiletten, eine im ersten Stock und eine hinten im Garten, sowie elektrisches Licht. Es roch alles ganz anders. Ich konnte nicht glauben, daß es uns gehören würde. Erwachsene machten aus ihren Versprechen immer ein »Mal seh’n«. Und ich war ja auch an die Hügel von Charlton und Maryon Park gewöhnt.
»Wird es hier eine Straße geben?« fragte ich.
»Sobald wir Miete und Grundsteuer zahlen«, sagte mein Vater, »wird die Stadtverwaltung die Straße bauen.«
Es war nicht seine Schuld, daß er sich irrte. Der Krieg brach aus, und obwohl er Miete und Grundsteuer immer pünktlich bezahlte, wurde fünf Jahre lang nichts an der Straße getan. Für Milchmänner, Müllkutscher, Kohlenlieferanten und Spediteure war der Morast am Ende der Newstead Road eine Quelle ständigen Ärgernisses. Karren blieben stecken, Pferde brachen zusammen, Militärfahrzeuge stürzten um und kippten ihre Fracht aus, Müllkutscher weigerten sich, mit ihren Karren zu uns zu kommen und die Mülltonnen zu leeren. Das einzige, was die Stadt während des Krieges unternahm, bestand darin, ein paar Wagenladungen Straßensand in die größeren Tümpel zu schütten und so in Modder zu verwandeln.
Für mich, der ich mich bald für den Krieg lebhaft interessierte, sollte der Dreck draußen vor dem Haus eine besondere Bedeutung erlangen. Es war eine Sache, in der ›Illustrated London News‹ Fotografien von Militärtransportfahrzeugen zu sehen, die sich durch den Morast kämpften. Aber einen Armee-Dreitonner zu sehen, der sich von der Grove Park-Kaserne zur Newstead Road durchzuschlagen versuchte, wobei zwei Rekruten, die bis zu den Knien im Londoner Schlamm steckten, von einem Obergefreiten herumkommandiert wurden, das war eine viel aufregendere und aufschlußreichere Sache. Ich wußte, wie unangenehm dieses Zeugs war. In der Parallelstraße war es noch viel besser. In der Dallinger Road gab es nicht nur jede Menge nassen Lehm, sondern auch eine ganze Reihe ungedeckter Häuser, ungedeckt, weil nach Kriegsausbruch alle Spekulationsobjekte eingestellt wurden. In der Dallinger Road gab es zwar sehr viel weniger Verkehr, wegen der halbfertigen Häuser und der unkrautbewachsenen Schutthaufen war sie jedoch ein hervorragendes Gelände für unternehmungslustige Jungen auf der
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