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Ambler by Ambler

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Titel: Ambler by Ambler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler by Ambler
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Publikum ausließen. Das sei nicht nur töricht, sondern auch abstoßend. Wer einem Publikum vorhalte, es verstünde keinen Humor oder solle dankbar sein, einen so fabelhaften Darsteller erleben zu können, ohne Eintritt bezahlen zu müssen, der werde nie erreichen, daß es einem Sympathie entgegenbringe. Schauspieler könnten schlimm sein. Zuschauer auch. Sobald sie richtig in Fahrt gekommen seien, könnten sie richtig grausam sein.
    »Einen auspfeifen und ausbuhen?«
    »Nicht bloß auspfeifen und ausbuhen.«
    »Werfen sie mit Gegenständen?«
    »Manchmal, wenn es was zu werfen gibt. Nein, es ist das Gejohle und Gepfeife und der allgemeine Spott. Das verstehst du noch nicht. Es ist entsetzlich. Als Mavis das einmal erlebte, zitterte sie und war käsebleich im Gesicht, als sie von der Bühne kam.«
    Mavis hatte eine Zeitlang bei The Harmoniques Mezzosopranballaden gesungen. Ich hatte immer das Gefühl, daß ihre herablassende Art Mißfallen und Beschimpfungen geradezu herausforderte. Wenn sie dann auch noch falsch gesungen hätte, dann wäre ihr Schicksal wohl besiegelt gewesen.
    »Was haben sie ihr denn zugerufen?«
    »Na ja, ›Aufhören!‹ und ›Geh doch nach Hause zu Mammi!‹ und andere Sachen. Und sie streckten ihr die Zunge raus und schrien sehr gemeine Sachen. Und jetzt sprich nicht mehr darüber, du kleines Ekel! Sei nicht so empfindlich!«
    Meine erste Schule war in der Sandhurst Road in Catford. Sie war damals ( 1904 ) eine der neueren Schulen, die dem London County Council unterstanden. Der Name des Rektors mochte Crick gewesen sein, doch in meiner Erinnerung lebt er als Mr. Click fort, mit seinem passenden Spitznamen. Wenn er nach dem Morgengebet den Choral dirigierte, mit dem der Schultag begann, dann gab alles an ihm, von den abknöpfbaren Zelluloidmanschetten an seinen rudernden Armen bis zu dem schlechtsitzenden Gebiß, das auf den Wörtern des Chorals herumkaute, ein deutlich vernehmbares Klicken von sich. Als Erstkläßler standen wir morgens immer ganz in seiner Nähe, und daher wußten wir alle, daß er klickte. Er hatte ein gerötetes Gesicht, hervortretende Augen und einen angsteinflößenden Ruf als harter Zuchtmeister von schlechten Schülern. Unseren Schultrakt hat er nie betreten, doch durch die geöffneten Fenster konnte man zuweilen hören, wie er jemand verprügelte. Die Lehrerinnen, die sich mit uns Knirpsen beschäftigten, hatten keinerlei Mühe, die Disziplin aufrechtzuerhalten.
    Meine Eltern nannten sie »Mistress«. Ich sagte »lady teachers«, weil sie sich selbst so nannten, als sie uns darauf hinwiesen, daß wir sie respektvoll mit »Bitte, Fräulein!« anreden und um Erlaubnis bitten mußten, wenn wir ungefragt sprechen wollten. Ihre Aufgabe war es, Klassen mit zweiunddreißig Schülern Lesen und Schreiben und die Grundrechenarten beizubringen, und dabei waren sie geduldig und freundlich und hatten in den meisten Fällen auch Erfolg.
    Mit uns hatten sie es nicht leicht. Das Alter der Schüler lag zwischen fünf und zwölf. Einige der älteren waren »zurückgeblieben«, andere hatten lange geschwänzt. Die meisten Schwänzer kamen aus einem Slumviertel hinter dem Lewisham Hippodrome, und einige erschienen barfuß, weil ihre Eltern (es war Krieg!) kein Geld für Kinderschuhe hatten. Wenn es kalt war und sie niemanden fanden, der ihnen ausrangierte Sachen gab, waren die Barfüßigen abermals gezwungen, die Schule zu schwänzen, und ihre Eltern, wenn man sie überhaupt auffinden und ihnen polizeiliche Vorladungen zustellen konnte, wurden abermals vor Gericht gebracht. Nur wer leicht erkennbare ansteckende Krankheiten ernsterer Natur wie Keuchhusten, Masern oder Mumps hatte, wurde nach Hause geschickt oder durfte gar nicht erst kommen. Wer Pseudokrupp oder Mandelentzündung hatte, brauchte seinen wollenen Halswickel nicht abzunehmen und durfte während des Unterrichts Hustenpastillen lutschen. Oft hatten drei oder vier von uns gleichzeitig den Kopf gegen Nissen, Läuse oder Bandwürmer kahlgeschoren bekommen. Am saubersten und am anständigsten angezogen in unserer Klasse waren drei Jungen aus einem Waisenhaus. Sie trugen eine Uniform mit altmodischen Knickerbockern, die am Knie über langen schwarzen Strümpfen zugeknöpft wurden. Die Waisenkinder trugen die gleichen Schnürstiefel wie ich, aber meine Socken reichten bis zur Wade und wurden oben umgekrempelt. Eine Zeitlang mußte ich befürchten, meine Mutter würde mich zwingen, im Winter lange Strümpfe und Knickerbocker zu

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