Ambler by Ambler
Arzt kenne eine Privatklinik, wo es über Nacht erledigt werden könne. Es sei aber teuer, und sie habe kein Geld. In dieser Privatklinik müsse man bar bezahlen. Wieviel? Tja, auch deswegen sei es ja so dringlich. Wenn es nächste Woche gemacht werden könnte, würde es sechzehn Guineen kosten. Nächsten Monat würde es fünfundzwanzig kosten.
Im damaligen England war natürlich jede Abtreibung gewissermaßen eine »Hinterhofgeschichte«, aber ich wußte, worauf sie hinauswollte. Auch ich hatte die Horrormeldungen der Sonntagszeitungen über betrunkene Engelmacher gelesen, die mit spitzen Gegenständen herumhantierten, und über Küchentischoperationen. Die Wörter »Privatklinik« und »Guineen« empfand ich als beruhigend. Sechzehn Guineen waren allerdings eine stolze Summe. Ich besaß nichts auch nur annähernd so Wertvolles, was ich hätte versetzen oder verkaufen können. Ich würde mir das Geld borgen müssen. Ich versprach, es bis nächste Woche schon irgendwie aufbringen zu können.
Als sie gegangen war, rief ich Onkel Sidney im Büro an und fragte, ob er mir fünfzehn Pfund leihen könnte.
»Wofür, mein Junge?«
»Um einer dringenden Verpflichtung nachkommen zu können, Onkel Sidney. Es ist sehr wichtig.«
»Bei der Pferdewette verloren?«
»Nein.«
»Weiß deine Mutter von dieser Verpflichtung?«
»Nein, Onkel Sidney.«
»Komm morgen zu mir raus, dann besprechen wir die Sache.« Ich habe mir nie erklären können, warum ich mich an Onkel Sidney wandte und nicht an den wohlhabenderen Onkel Frank. Möglicherweise dachte ich, daß ich mit Onkel Sidneys unverblümter Kritik an meinem schändlichen Verhalten leichter umgehen konnte als mit Onkel Franks klammheimlicher Freude und seinen allzu neugierigen Fragen. Wenn ja, dann hatte ich mich getäuscht. Es war leicht, sich in Onkel Sidney zu täuschen. Er wirkte höchst konservativ, war es aber nicht. In Herzensangelegenheiten war er sein eigener Herr. Tante Ida, seine Frau, stammte aus einer Familie von streng orthodoxen Juden, die sich hartnäckig geweigert hatten, Onkel Sidney als Schwiegersohn zu akzeptieren. Als die beiden sich um dieses Verbot nicht kümmerten und trotzdem heirateten, sagte sich die Familie von ihr los und betrachtete Onkel Sidney einfach als nichtexistent.
Er wohnte mit seiner exotischen Ida in der Nähe von Shepherd’s Bush. Am folgenden Abend traf ich mich dort mit ihm in einer Kneipe. Das Geld hatte er in einem Briefumschlag bei sich, den er auf den Tisch neben sein Glas legte.
»Wofür ist es?« fragte er abermals.
Ich sagte es ihm.
»Und woher weißt du, daß sie dir nicht was vormacht?«
»Das ist nicht ihre Art.«
Er fragte mich noch einmal, diesmal etwas direkter. »Woher weißt du, daß das Kind von dir ist?«
»Es könnte von niemand sonst sein. Sie lebt allein. Es gibt niemand anders.«
»Aha. Sie sagt es, und du glaubst ihr. Ich hab ja nur gefragt. Wollte bloß sichergehen. Deiner Mutter wirst du nie was davon sagen, hörst du?«
»Bestimmt nicht.«
»Na schön.« Er gab mir den Umschlag. »Ich würde ja gern sagen: Behalt es, es gehört dir, aber ich hab selber nicht so viel. Du wirst mir das Geld also bald zurückzahlen, sagen wir in drei Monaten, einverstanden?«
»Ja. Ich kann dir nicht sagen, wie dankbar …«
»Schon gut. So was kann schon mal passieren. Sechzehn Guineen ist für meine Begriffe ziemlich viel. Ist das der übliche Preis?«
»Sie sagt, ja.«
»Man würde einen kleinen Diamantring dafür bekommen.«
Wahrscheinlich hatte er recht. Und wahrscheinlich würde derselbe Ring heutzutage mehrere hundert Pfund kosten. In einigen zivilisierten Ländern ist Abtreibung noch immer illegal und dürfte daher noch immer eine Menge Geld kosten. Inflationsstatistiken und Preisvergleiche sind aber langweilig. Die Bemerkung meines Onkels über den kleinen Diamantring kam mir nur deswegen in den Sinn, weil ich an die Tage, die ihrem Aufenthalt in der Privatklinik folgten, noch immer äußerst ungern zurückdenke. Es ging ihr schlecht, und in der speziellen Seitenstraße, die uns nicht erspart blieb, gab es nur Schmerz, Blut und Angst.
Es ist leichter, an die Zeit zurückzudenken, die ich an einem Sommerabend in den Seitenstraßen von Epping vergeudete.
Der Wahltermin rückte näher, als vom Vorsitzenden des Aufsichtsrats eine Mitteilung an die Belegschaft erging. Gesucht wurden Freiwillige, die nach der Arbeit nach Epping fahren sollten, um dort für einen Freund des Vorsitzenden, den Abgeordneten
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