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Ambler by Ambler

Ambler by Ambler

Titel: Ambler by Ambler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ambler by Ambler
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Vater fand sie nicht nur hübsch, sondern auch elegant und geistreich. Die Billigung meiner Mutter war weniger direkt. Das Schlimmste, was ihrer Ansicht nach einem jungen Mann meines Alters passieren konnte, war, daß er sich mit einer verheirateten Frau »abgab«. Das Mädchen aus Norbury sei ja Gott sei Dank unverheiratet. Sie war froh. Auch darüber, daß das Mädchen einen teuren Geschmack hatte, war sie froh. Auf einer der amerikanischen Schallplatten, die ich manchmal wegen des Klaviersolos auflegte, war auch ein Männerchor mit »I Can’t Give You Anything But Love, Baby« zu hören. Meine Mutter hat diese Nummer mit immer denselben Worten kommentiert: »Von dieser Sorte laufen ja viele herum«, pflegte sie düster zu sagen und mir dabei einen bedeutungsvollen Blick zuzuwerfen. Das konnte ich auf mich beziehen, und auch ein Mädchen mit teurem Geschmack konnte es auf mich beziehen.
    Eines Tages im Januar erfuhr ich bei meiner Ankunft in Croydon, daß mein Vater früher als sonst von der Arbeit zurückgekommen und unter großen Schmerzen zusammengebrochen war. Der Hausarzt, der kurze Zeit später eingetroffen war, stellte ein durchgebrochenes Zwölffingerdarmgeschwür und Bauchfellentzündung fest. Ein Krankenwagen brachte ihn in eine Privatklinik. Später am Abend wurde er von einem aus London herbeigerufenen Arzt operiert.
    Nach der Operation lebte mein Vater noch drei Wochen. Er hatte zahlreiche Freunde, und sie waren mir eine große Hilfe bei den Dingen, die in einer solchen Situation zu erledigen sind, etwa einen Sarg und seine Ausstattung auszuwählen. Meine Mutter wollte nicht zur Beerdigung kommen und bestand darauf, daß auch keine anderen Frauen anwesend sein sollten. Eine reine Männerangelegenheit also. Es kamen viele, über fünfzig. Einige haben es bestimmt bereut. Es war ein kalter, regnerischer Tag, und ich stand laut flennend am offenen Grab.
     
    Meine Mutter sagte, nun sei ich das Familienoberhaupt, meinte es aber natürlich nicht so. Sie hatte diese Funktion jahrelang ausgeübt und würde sie auch weiterhin ausüben. Bis zu ihrer Wiederverheiratung halfen ihre drei Kinder zeitweilig als Stellvertreter aus.
    Anfang 1929 vertauschten wir unsere Villa wieder mit einem Reihenhaus und den Hudson-Essex mit einem gebrauchten Austin 7 . Auch das Mädchen aus Norbury verlor ich.
    Eines Abends im Frühling bekam ich in einer Kneipe in der Upper Thames Street von einem Drucker ein viel zu großes Bier spendiert. Ich trank es aus, und dann wurde mir schlecht, wie üblich. Aber diesmal war ich auch ein bißchen betrunken. Zu spät fiel mir ein, daß ich in Norbury verabredet war. Ich rief daher an und sagte, ich sei krank, was in gewisser Weise ja auch stimmte. Bislang hatte ich alle Verabredungen mit ihr aber immer eingehalten. Das Ergebnis war, daß meine Krankheit für bare Münze genommen wurde. Als ich nach Hause kam, legte ich mich sofort ins Bett. Einige Minuten später war sie mit einem Rettungstrupp, bestehend aus ihrer Mutter und ihrem Bruder, zur Stelle. Ihre Anteilnahme kühlte augenblicklich und nachhaltig ab. Meine Mutter, die empört war, amüsiert, aber nicht ganz unzufrieden, sagte, das hätte ich nun davon. Ich konnte ihr nur beipflichten.
    Ich gewann auch Freunde. Einer war der Bibliothekar der Stadtbücherei Addiscombe, der mich sechs Bücher auf einmal ausleihen ließ und nicht eins oder zwei. In seinen Regalen stieß ich auf Jungs Psychologie des Unbewußten und seine Gesammelten Schriften. Über Jung fand ich zu Nietzsche und Die Geburt der Tragödie . In derselben Abteilung entdeckte ich Spengler.
    In diesem Frühling demonstrierte ich, wie recht meine Mutter gehabt hatte, als sie mich warnte, mich mit einer verheirateten Frau abzugeben. Obwohl sie zu dieser Zeit formal zwar von ihrem Mann getrennt lebte, legte ich großen Wert darauf, mich diskret zu verhalten. In anderer Hinsicht war ich weniger vorsichtig. Kurz vor den Wahlen, die in jenem Jahr stattfanden, wurde ich plötzlich zu einer dringenden Besprechung in eine Teestube gebeten. Ich befürchtete, mir würde eröffnet, daß der Ehemann wieder zu seiner Frau zurückkehren wollte. Tatsächlich aber eröffnete sie mir, daß sie von mir schwanger war. Wenn ihr Mann dahinterkäme, würde er ihre Schwangerschaft bestimmt als Begründung anführen, um sich von ihr scheiden zu lassen. Sie brauchte eine Abtreibung. Aber nicht in irgendeinem obskuren Hinterhof. Das sei zu gefährlich. Auch jede Verzögerung sei gefährlich. Ihr

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